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Gegen den Trend: Autohaus Göttgens stellt Fachkräfte aus Sri Lanka ein

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Von: Sarah Hanke

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Das Soester Autohaus Göttgens hat drei Fachkräfte aus Sri Lanka eingestellt: Von links Jobst Ferber, Andreas Dringenberg,(Serviceleiter Göttgens), Pabba Herath, Benjamin Göttgens, Pasqual Handi Sahan Hasara, Dilanka Dambawinne.
Das Soester Autohaus Göttgens hat drei Fachkräfte aus Sri Lanka eingestellt: Von links Jobst Ferber, Andreas Dringenberg,(Serviceleiter Göttgens), Pabba Herath, Benjamin Göttgens, Pasqual Handi Sahan Hasara, Dilanka Dambawinne. © Dahm

Trotz Fachkräftemangels werben nur wenige Firmen um Personal im Ausland. Laut einer Umfrage der Handwerkskammer Dortmund würden nur sieben Prozent der befragten Unternehmen auf Fachkräfte aus dem Ausland setzen. Das Autohaus Göttgens in Soest geht einen anderen Weg und hat drei Kfz-Mechatroniker aus Sri Lanka eingestellt.

Soest - Überall fehlen Fachkräfte. Mitarbeiter aus dem Ausland kommen dennoch längst nicht für jedes Unternehmen infrage. Zu hoch sind bürokratische Hürden und Risiko. Ein Soester Unternehmen hat das Experiment gewagt. Laut Bundesanstalt für Arbeit fehlen in Deutschland momentan rund 700.000 Fachkräfte. Im Kreis Soest sind circa 3.100 Stellen unbesetzt, bei den Kraftfahrzeugmechatronikern sind etwa 53 Stellen offen (Stand: Ende 2022). Das teilte die zuständige Agentur für Arbeit Meschede-Soest auf Anfrage mit.

„Wenn jetzt ein Kfz-Mechatroniker in einer Werkstatt ausfällt, würde die Stelle erst mal sechs bis zwölf Monate unbesetzt bleiben“, sagt Benjamin Göttgens, Geschäftsführer des gleichnamigen Autohauses in Soest. „Früher oder später werden wir uns damit beschäftigen müssen, Mitarbeiter aus dem Ausland zu rekrutieren.“

Eigeninitiative zeigen und motiviert voranpreschen, ist aus Sicht des Geschäftsführers durchaus sinnvoll. „Ich wollte das Abenteuer und schauen, ob es Sinn macht, künftig weitere Mitarbeiter aus dem Ausland zu rekrutieren“, sagt Göttgens. Seit November verstärken drei Kfz-Mechatroniker aus Sri Lanka das Team des Familienunternehmens. Pabba Herath, Pasqual Handi Sahan Hasara und Dilanka Dambawinne gehörten 2018 zur ersten Gruppe, die im Mercedes-Werk in Sri Lanka eine dreijährige Duale Berufsausbildung nach deutschen Ausbildungsstandards absolvierten.

Berufsausbildung dual

Auf die Beine gestellt wurde sie von Jobst Ferber. Er war lange Zeit weltweit als Manager bei Mercedes-Benz tätig und leitete auch ein Werk in Sri Lanka. Als sich abzeichnete, dass es in Deutschland ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz geben wird, brachte er den Stein ins Rollen und initiierte mit der Deutschen Außenhandelsvertretung in Sri Lanka eine duale Berufsausbildung. „So sind wir 2018 angefangen – natürlich mit sehr vielen Hürden, bis alles anerkannt und genehmigt war.“ Schließlich sei es gelungen, das Institut anerkennen zu lassen – als einziges in Sri Lanka. Ebenso aufwendig war es, erste Teilnehmer zu gewinnen. Viele Werbung sei nötig gewesen – auch um, die Eltern zu überzeugen. Die erste Gruppe bestand aus zehn Azubis.

Voraussetzung, um ein Visum zu bekommen, ist neben dem Nachweis der Deutschkenntnisse auf Niveau B1, ein Arbeitsvertrag. Die Unterlagen der drei frisch gebackenen Kfz-Mechatroniker landeten schließlich bei Göttgens auf dem Schreibtisch. „Handwerksbrief und Bewerbungsschreiben in deutscher Sprache waren direkt dabei. Die Bewerbungsphase lief sehr strukturiert ab“, erinnert sich Göttgens. „Das alles hat bei mir schon einen guten Eindruck hinterlassen.“

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz

Ende November hat die Ampel-Regierung ein Eckpunktepapier veröffentlicht, dass das 2020 in Kraft getretene Fachkräfteeinwanderungsgesetz anpassen soll, um schneller und einfacher Fachkräfte aus Drittstaaten anwerben zu können – also aus Ländern außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums, um ein Signal für die Zukunft der deutschen Wirtschaft und des deutschen Arbeitsmarkts zu setzen. Die Erwerbseinwanderung wird künftig auf drei Säulen beruhen: der Fachkräftesäule, der Erfahrungssäule und der Potenzialsäule. Ziel sei, das modernste Einwanderungsrecht in Europa zu schaffen.

Eine Win-Win-Situation. „Ich war froh, jemanden gefunden zu haben, der bereit war, das ‘Abenteuer’ in Angriff zu nehmen und so die Voraussetzung für den Erhalt eines Arbeitsvisums zu schaffen“, sagt Ferber. Für die drei Sri Lanki war es die Chance, die schwierige wirtschaftliche Lage in ihrem Heimatland hinter sich zu lassen. „Die Situation ist wegen der hohen Inflation sehr schwierig“, berichtet Pabba Herath von seiner Heimat. Auch wegen politischer Turbulenzen im vergangenen Jahr knackt Sri Lanka den Inflationsrekord mit 70 Prozent. „In Deutschland gibt es viele Angebote zu arbeiten“, so Herath. Der sehr gute Ruf deutscher Autos und Technik hatten ihn sowie seine beiden Mitstreiter überzeugt. Das Trio wohnt seit November 2022 in einer Wohngemeinschaft in Soest. Den Soester Weihnachtsmarkt und den ersten Schnee hat das Trio schon erlebt. In Sri Lanka seien das ganze Jahr über 30 Grad. Jeden Abend halten die drei mit ihrer Familie per Videoanruf Kontakt.

Der erste Schnee und ein Besuch auf dem Soester Weihnachtsmarkt

Auf diesem Weg fand auch ein erstes persönliches Gespräch zwischen Göttgens und den Anwärtern statt. „Bei den Interviews fiel der Strom in Sri Lanka aus“, erinnert sich Göttgens lachend. Die drei hätten dann mit Taschenlampen vor den Bildschirmen gesessen. Die Gespräche liefen dennoch gut. Gemeinsam mit dem Team entschied Göttgens, sich auf das Experiment einzulassen und schickte die Arbeitsverträge ab: „Es ist tatsächlich mehr ein Ausprobieren“, sagt er. „Es geht darum, Erfahrungen zu sammeln, ob es funktionieren kann.“ Weder die drei Arbeitnehmer noch Göttgens selbst wussten, was sie erwartet.

Nur wenige Unternehmen setzen aktuell auf Mitarbeiter aus dem Ausland. Nur sieben Prozent der Handwerksunternehmen rekrutieren Fachkräfte aus dem Ausland. Das ist das Ergebnis einer Sonderumfrage der Handwerkskammer (HWK) Dortmund im Herbst 2022. „Das bedeutet, dass fast vier von fünf der befragten Handwerksunternehmen keine Fachkräfte aus dem Ausland einstellen würden“, erklärt eine HWK-Sprecherin Anfrage. 39 Anträge auf Anerkennung von Berufsabschlüssen aus dem Ausland seien 2022 gestellt worden.

Sprachliche Schwierigkeiten, das Problem bei der Vergleichbarkeit der im Ausland erworbenen Qualifikationen sowie rechtliche und bürokratische Hürden seien am häufigsten genannten Gründe. In der Mentalität, der Kultur und beim fehlenden Wohnraum würden weitere Hemmnisse gesehen.

Viel Geld in Mitarbeitergewinnung investiert

Die Zeiten, in denen die Bewerber um eine Arbeitsstelle Schlange stehen, sind längst vorbei. Von allein klopfen sie erst recht nicht an. Hinzu kommt: Der demografische Wandel hinterlässt erste deutliche Spuren. Mit den zunehmenden Renteneintritten der geburtenstarken Jahrgänge würden speziell viele Fachkräfte verloren gehen, die ersetzt werden müssen, so die Agentur für Arbeit. Des Weiteren kämen durch die demografischen Gegebenheiten weniger Nachwuchskräfte nach, sodass die klaffenden Lücken nicht geschlossen werden können.

Zum Sommer 2022 habe das Unternehmen sieben Service-Mitarbeiter eingestellt. „Heute muss man als Arbeitgeber schon einiges dafür tun und sich positionieren“, sagt Göttgens. „Es kostet heute viel Geld, um Mitarbeiter zu bekommen.“ Für Werbemaßnahmen, um die neuen Azubis zu gewinnen, habe man bis zu 14.000 Euro investiert.

Statt in Maßnahmen hat Göttgens Geld und Zeit nun in die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte gesteckt. „Wenn man es will, muss man sich den Hürden stellen“, sagt der Inhaber. Einen ganzen Tag hätten die drei in der Deutschen Botschaft verbracht, um ihr Anliegen darzulegen und Dokumente vorzulegen. Auch hier fehle Personal, so Ferber. Ein halbes Jahr sei vergangen, bis alles durch das zuständige Arbeitsamt geprüft und der berufliche Abschluss offiziell anerkannt war.

Eine Willkommenskultur für die neuen Fachkräfte schaffen

Auch von Arbeitgeber-Seite müssen Voraussetzungen erfüllt werden. So besorgte Göttgens ihnen eine Wohnung in Soest. Durch Spenden konnte die Einrichtung der noch leer stehenden 120 Quadratmeter großen Wohnung für die neuen Kollegen aus Sri Lanka zusammen gesammelt werden. „Eine Willkommenskultur zu schaffen, in der sie sich wohlfühlen, war für mich die Grundvoraussetzung dafür, dass uns das Experiment gelingt“, sagt Göttgens, der die drei Herrschaften gemeinsam mit Ferber persönlich am Düsseldorfer Flughafen in Empfang nahm. „Je wohler sie sich fühlen, desto länger bleiben sie. Wir müssen ein Umfeld schaffen, in dem sie sich wohl fühlen“, sagt Ferber. „Wir wollen Arbeitskräfte, aber es kommen Menschen.“

Dazu gehört auch, die Mitarbeiter einzustimmen, damit sie das „Experiment“ mittragen, und dafür zu sensibilisieren, dass die Neuzugänge Zeit brauchen, um sich an neue Abläufe und Strukturen zu gewöhnen. „Auch wenn alle drei den Handwerksbrief haben, heißt das nicht, dass sie sofort alles beherrschen und umsetzen können“, so Göttgens. Ihre Ausbildung haben sie mit Mercedes absolviert. In Soest schrauben sie nun an Autos von Volvo oder Seat. Aktuell nehmen die drei an einem Deutschkurs teil, der speziell die Fachsprache in ihrem Berufsalltag schult.

Bewerberzahl im Kfz-Bereich rückläufig

Bis 2035 könnte der Arbeitsmarkt laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung um bis zu sieben Millionen Arbeitskräfte schrumpfen, wenn nicht gehandelt wird. Göttgens hat gehandelt – vorausschauend. Obwohl er bei der Suche nach Personal im Kfz-Bereich nicht laut klagen kann – noch nicht.

Die Bewerber-Zahl sei zwar rückläufig, aber im Vergleich zu anderen Gewerken stehe er noch gut dar. „Wenn die Not in den Betrieben größer wird, dass sie halbiert oder geschlossen werden müssen, müsste man die gleichen Betriebe noch mal hören, für die ausländische Fachkräfte vehement nicht infrage kommen“, sagt Ferber. Ohne werde es künftig nicht gehen. Ob das „Experiment“ glückt, wird sich zeigen.

Das Unternehmen

1970 wurde das Autohaus durch Ewald Göttgens als Volvo-Niederlassung in Soest gegründet. 1992 übernahm Klaus Göttgens den Betrieb, 2010 trat Benjamin Göttgens in die Fußstapfen seines Vaters. Heute gibt es vier Standorte und fünf Marken: Volvo, Hyundai, Seat, Cupra und Suzuki.

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