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Gesamtschüler spielen Kommunalpolitik

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Von: Ansgar Wolfgart

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Den Schülern der Hannah-Arendt-Gesamtschule rauchten am Dienstag und Mittwoch nicht im Unterricht die Köpfe. Im kommunalpolitischen Planspiel galt es stattdessen, politische Ideen zu entwickeln. © Dahm

Soest -  80 Schüler der elften Klasse nahmen Dienstag und Mittwoch am Planspiel „Entscheidung im Stadtrat“ der Konrad-Adenauer-Stiftung teil und simulierten das kommunalpolitische Leben einer Kleinstadt, inklusive Bürgermeisterwahl und Ratssitzung.

Wenn in der Mensa der Hannah-Arendt-Gesamtschule Begriffe wie Haushalt, Steuer und Stadtrat fallen, wenn sich Schüler plötzlich mit „Sie“ anreden und politische Programme ausgetüftelt werden, ist es kein normaler Schultag.

Die Klassenzimmer verwandelten sich während des Planspiels in die fiktive Gemeinde Wattenburg. Eine Stadt mit 5 600 Einwohnern, die eine hübsche mittelalterliche Burg ihr Eigen nennt, aber auch viele Probleme hat: Die jungen Leute wandern aus, die Burg zieht keine Touristen an und 15 Millionen Euro Schulden belasten den Haushalt. Vielen echten Kommunalpolitikern dürfte das bekannt vorkommen, während sich die 16 oder 17 Jahre alten Schüler zum ersten Mal in ihrem Leben mit diesen Themen beschäftigen.

Sie schlüpfen in die Rollen der Dorfbewohner, spielen Metzgermeister oder Kfz-Mechaniker, schließen sich in politischen Fraktionen zusammen und bestimmen ihre Kandidaten für die Bürgermeisterwahl. Alles wie in der echten Kommunalpolitik. Sogar eine Pressegruppe gibt es, die das Treiben der jungen Politiker beobachtet und immer auf der Suche nach kleinen Skandalen ist. Mithilfe von Tablets und dem internen Schulnetzwerk wurden sogar eigene Berichte veröffentlicht.

Höhepunkt des ersten Tages ist die Wahl des Bürgermeisters. Fünf Kandidaten stellen ihr Programm vor: Florian will die Busverbindungen ins Umland stärken, Sara den Tourismus stärken und Leon Flüchtlingen helfen. Sogar die Legalisierung von Marihuana, Sterbehilfe und der Homo-Ehe kommen auf die Agenda, obwohl diese Themen kommunalpolitisch doch gar nicht entschieden werden, wie ein Schüler kritisch anmerkt. Und überhaupt, wie sollen denn die ganzen Maßnahmen finanziert werden? Es geht hoch her – wie in einer echten Ratssitzung, nur vielleicht sogar etwas gesitteter.

Verständnis für Politik ist vorhanden

Immer wieder wird deutlich: Das häufig behauptete politische Desinteresse der Jugend gibt es nicht. Das Verständnis für politische Entscheidungen und Argumentation ist da, und die Schüler versuchen mit konkreten Argumenten für ihre politischen Vorhaben zu werben. Das sieht auch Joachim Fernkorn so, der als Oberstufenleiter das Planspiel an die Schule geholt hat. „Schüler sind nicht zwingend unpolitisch, sie informieren sich einfach anders als früher. Wenn ich früher die Zeitung aufgeschlagen habe, schauen sie heute ins Internet.“ Fernkorn hofft, dass das Planspiel das politische Bewusstsein der Schüler stärkt. „Die Schüler sollen sich fragen, was passiert in meiner Region, wie wirkt sich mein Wählerverhalten darauf aus?“ 

Die ersten Eindrücke des Planspiels beeindrucken ihn. „Selbst in der Pause haben die Schüler weiterdiskutiert. Sie bleiben voll in ihren Rollen drin“, meint er und denkt bereits an eine Fortsetzung in den nächsten Jahren. Der kleine finanzielle Beitrag, den die Schüler für die Organisation der zwei Tage leisten müssen, sei es wert.

Schulranzen als Wahlurne

Das scheinen auch die meisten Schüler so zu sehen. Sie stehen Schlange vor der Wahlkabine, um ihren Bürgermeister zu bestimmen. Ein Schulranzen wird kurzerhand zur Wahlurne umfunktioniert und nach der ersten Auszählung wird sogar eine Stichwahl nötig.

Schwieriger wird es einen Tag später. Die große Ratssitzung läuft, wo die verschiedenen Interessen aufeinanderprallen. Soll Wattenburg einer Klimainitiative beitreten? Lässt sich die Grundschule noch sanieren oder muss sie abgerissen werden? Soll das Freibad geschlossen und der Weiher zum Schwimmen freigegeben werden? Der Umgang mit den verschiedenen Argumenten ist anstrengend und kann dauern. Die Diskussion dreht sich im Kreis und nicht alle Schüler sind bei der Sache. Auch das ist aber nicht groß anders als bei Sitzungen im Soester Stadtrat. „Ihr müsst den Mut haben und den Mund aufmachen“, versucht Spielleiter Robert Hein, die Schüler zu motivieren. Das klappt am Ende auch und Beschlüsse werden gefasst. Wattenburg hat eine Zukunft.

Heute ist der Ausflug in die Kommunalpolitik bereits Geschichte. Die Schüler werden sich wieder duzen und Steuern oder Haushalt kommen nur im Politik-Unterricht vor. Aber irgendwo in den Köpfen der Jugendlichen hat das Verständnis für politische Prozesse vielleicht einen größeren Platz gefunden. Den können sie zwar noch nicht am nächsten Sonntag nutzen, aber auf jeden Fall bei der nächsten Kommunalwahl.

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