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Rettungsdienst am Limit: Notruf wegen Sonnenbrandes und der RTW als Taxi

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Von: Daniel Schröder

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Mitarbeiter des Rettungsdienstes betonen, dass die Arbeitsbelastung immer höher wird.
Mitarbeiter des Rettungsdienstes betonen, dass die Arbeitsbelastung immer höher wird. © Daniel Schröder

Der Rettungsdienst ist am Belastungslimit. Oder schon darüber hinaus. Doch wie kommt es zu der immensen Steigerung der Einsatzzahlen? Ein Blick auf die Situation im Kreis Soest.

Soest – Das neu gegründete „Bündnis pro Rettungsdienst“ warnt angesichts der stark gestiegenen Arbeitsbelastung vor einem möglichen Kollaps. „Es ist fünf nach zwölf, das System bricht zusammen“, sagt Frank Flake vom Vorstand des Deutschen Berufsverbandes Rettungsdienst. Gründe seien fehlendes Personal, aber auch überlastete Notaufnahmen. Doch wie sieht die Situation konkret im Kreis Soest aus?

Im Jahr 2013 gab es im Kreis Soest 49.975 Rettungsdienst-Einsätze. 2021, nur acht Jahre später, waren es schon 63.458 – eine Zunahme von fast 27 Prozent. Um die Einsatzkräfte zu entlasten, fordert das Bündnis, die Arbeitszeiten von 48 Wochenstunden und mehr herabzusetzen und gleichzeitig, mehr Rettungswagen auf die Straße zu bringen.

Rettungsdienst-Leiter: „Kein Fachpersonal in ausreichender Menge vorhanden“

Der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes im Kreis Soest, Hans-Peter Trilling, betont, dass das jedoch „nicht umsetzbar“ sei: Es seien „keine Fahrzeuge auf dem Markt und kein Fachpersonal in ausreichender Menge vorhanden“. Immerhin: Eine angestiegene „Berufsflucht“ nimmt Trilling in seinem Rettungsdienst trotz der gestiegenen Belastung nicht wahr.

Das dürfte unter anderem daran liegen, dass weiter an 24-Stunden-Schichten festgehalten wird. Sie sind bei vielen Einsatzkräften beliebt, da nach „dem 24er“ in der Regel zwei freie Tage folgen. Andere Kommunen und Kreise in NRW stampften ihre 24-Stunden-Modelle zuletzt ein – viele Kündigungen sollen die Folge gewesen sein.

Das Hilfeersuchen des Bürgers steht im Vordergrund.

Hans-Peter Trilling, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes

Doch wie kommt es zu dem massiven Anstieg der Einsatzzahlen? Das „Bündnis pro Rettungsdienst“ macht dafür vor allem sogenannte „Bagatell-Fahrten“ – also Einsätze, für die es den Rettungsdienst nicht gebraucht hätte – verantwortlich. Ob es sich bei einem vermeintlichen Notfall letztlich um eine Bagatelle handelt, könne jedoch immer erst nach dem Einsatz beurteilt werden. Der Begriff sei eine Bewertung von Notsituationen, „die wir nicht vornehmen“, so Trilling. Der Rettungsdienst-Leiter: „Das Hilfeersuchen des Bürgers steht im Vordergrund. Soweit möglich selektiert die Leitstelle und disponiert im Rahmen ihrer Möglichkeit.“

Rettungsdienst am Limit: Notruf wegen eines Sonnenbrandes

Die Leitstellen-Disponenten können aber natürlich nur mit den Informationen arbeiten, die ihnen im Notruf-Telefonat gegeben werden. Übertreibt ein Anrufer also, werden Blaulicht und Martinshorn – im Nachhinein betrachtet – umsonst eingeschaltet. Ein Beispiel: Der Rettungswagen rückt an und sich vor Ort stellt sich heraus, dass der Patient sich an einem Sommertag einen Sonnenbrand eingefangen hatte. Mit einem Klecks After-Sun konnte die „Notsituation“ entschärft werden. Es ist nur eines von unzähligen Beispielen, die unserer Redaktion im Laufe der Recherche geschildert wurden.

Der RTW als Taxi: Senior wartet mit gepackter Tasche auf die Rettungskräfte

Hans-Peter Trilling bestätigt, dass es darüber hinaus auch im Kreis Soest die Problematik gibt, dass der Rettungswagen von manchen Menschen bewusst als Taxi missbraucht wird. So schildert ein Retter, dass er einmal zu einem gemeldeten Herzinfarkt gerufen wurde. Am Einsatzort eingetroffen, stand ein Senior wartend mit gepackter Tasche an der Straße. Er wisse eben, was er am Notruf sagen müsse, um schnell ein Fahrzeug zu bekommen, habe er gesagt. „Soweit möglich“, sagt Trilling, würden die Leitstellen-Disponenten versuchen, solche „Taxi-Notrufe“ herauszufiltern, „was aber durch die Abfragebeschränkung und das ,Wording’ des Anrufers immer Lücken enthält“.

Um den Rettungsdienst zu entlasten, müsste ein Umdenken bei vielen Bürgern einsetzen, sagen mehrere Mitarbeiter übereinstimmend. „Viele leben mit einer Rund-um-die-Uhr-Service-Mentalität – ,alles wird nach Hause geliefert, warum dann nicht auch die medizinische Dienstleistung, um sich den Gang zum Hausarzt zu sparen’, denken sich wohl viele“, sagt einer.

Rettungsdienst am Limit: „Man ist den Tränen nahe“

Um die Folgen des gestiegenen Drucks darzulegen, erklärt er: „Ich mache den Job wirklich super gern. Doch aktuell fehlt zunehmend die Kraft. Man sitzt nach dem Dienst Zuhause, hat keine Lust mehr, ist den Tränen nahe. Es reicht.“

Erst im November sorgte ein Notrufmissbrauch durch einen Bewohner der Soester ZUE für Kopfschütteln. Die Bezirksregierung erklärte am Tag drauf, mit welchen Konsequenzen der Bewohner rechnen musste.

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