Ein Samstagmorgen im Sommer 2007, es herrscht strahlender Sonnenschein. Thomas Rotthoff ist überzeugt, dass es nur ein schönes Wochenende werden kann – „so war der Plan“, erinnert er sich heute. Plötzlich reißt der piepende Funkmelder ihn aus den Wochenend-Gedanken. „Verkehrsunfall, Pkw vor Baum“, lauten die ersten kurzen Informationen. „Es beginnt die Routine: Zur Wache fahren, umziehen, ausrücken.“
Schon kurz vor der Einsatzstelle erkennen Rotthoff und seine Kameraden, dass ein Auto vor einem Baum hängt. „Ich erkenne sofort das Auto“, schildert Rotthoff. Das Auto gehört René, dem Sohn eines befreundeten Ehepaares, ein Freund des Sohnes von Thomas Rotthoff. „Ich bin nicht in der Lage, weiter am Einsatz teilzunehmen, ziehe mich zurück.“ René ist an diesem Tag im Jahr 2007 24 Jahre alt, hat gerade seine Ausbildung zu Ende gebracht, ist Vater geworden, plant seine Hochzeit. „An der Unfallstelle bekomme ich mit, dass René im Wagen eingeklemmt ist und die Überlebenschancen sehr gering scheinen.“
Im Auto finden die Einsatzkräfte einen Kindersitz. Ein Standard-Vorgehen setzt sich sofort in Gang, Feuerwehrleute suchen die Umgebung ab. Ist ein Kind beim Unfall aus dem Wagen geschleudert worden? Dem ist zum Glück nicht so, René war alleine unterwegs. Die Feuerwehr zieht den Wagen vom Baum, unterstützt die Polizei bei der Unfallaufnahme. Die Ursache ist bis heute unklar, es gibt nur eine Vermutung, sagt Rotthoff. Klar ist jedoch schnell: Der Unfall kostete René das Leben.
Nach dem Einsatz fährt Thomas Rotthoff nach Hause, informiert seine Frau, seinen Sohn, der mit René befreundet ist. Befreundet war. Er besucht Renés Vater, versucht Trost zu spenden, sitzt weinend und schweigend mit ihm zusammen.
Drei Jahre später: Es ist das Jahr 2010, wieder ein Samstagmorgen. Wieder werden Rotthoff und die anderen Kräfte der Feuerwehr Lippstadt zu einem Verkehrsunfall gerufen. Die hauptamtliche Wachbereitschaft ist schon unterwegs, als die freiwilligen Kräfte die Information bekommen, dass sie nicht mehr ausrücken müssen. Die verunfallte Person ist bereits geborgen.
Für mögliche Folgeeinsätze bleiben die Ehrenamtlichen als Rückendeckung für die Hauptamtlichen an der Wache. „Als die Kameraden zurückkehren, erfahre ich, wer der Verunglückte ist“, schildert Rotthoff zwölf Jahre danach. „Die verunglückte Person“ hat plötzlich einen Namen. Es ist Matthias. Ebenfalls 24 Jahre alt, ein Freund von Rotthoffs Sohn.
Er war auf gerader Strecke nach links von der Straße abgekommen, sein Wagen krachte gegen einen Baum, Matthias war sofort tot. „Wieder muss ich nach Hause fahren, meine Familie informieren, dass jemand aus unserem Freundeskreis, wieder ein junger Mann, verstorben ist. Mein Sohn sagt später zu mir, dass seine größte Bitte ist, dass ich ihn nie wieder wegen solcher Fälle anrufen soll. Ich kann es ihm nicht versprechen.“
Rotthoff will durch die Schilderungen gleich mehrere Dinge verdeutlichen: „Ein solcher Unfall betrifft nicht nur die Angehörigen, Freunde, Klassenkameraden. Auch Einsatzkräfte müssen lernen, damit umzugehen. Solche Situationen können tagtäglich passieren – auch uns greifen sie emotional an.“ Sein Wunsch an junge Menschen ist unmissverständlich. In ihre Richtung mahnt er: „Lernt das Nein-Sagen. Es ist ganz einfach: Wenn ihr der Meinung seid, dass ein Fahrer wegen Alkohol oder Drogen nicht mehr in der Lage ist, ein Fahrzeug zu steuern, dann sagt nein. Es gibt nicht Schlimmeres, als wenn Polizisten, Seelsorger, Feuerwehrleute Eltern Todesnachrichten überbringen müssen. Ruft eure Eltern an, sie werden euch zu jeder Tages- und Nachtzeit abholen, damit sie sicher sind, dass ihr immer heile nach Hause kommt.“
„Retter berichten“
Teil 1: Tödlicher Tritt aufs Gaspedal: Jessica und Thomas verloren durch einen Raser ihr Leben
Teil 2: Er flog an Menschengruppe vorbei: Junger Motorradfahrer überschreitet Grenze einmal zu oft
Teil 3: Unfallverursacher kämpft mit dem Tod: Ein Rennen, das nur Verlierer hatte