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Opfer-Anwalt über verschwiegene Vergewaltigung: „Veröffentlichung hätte sofort erfolgen müssen“

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Von: Daniel Schröder

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Abdelkader B. - hier mit einem Justizbeamten und seinem Dolmetscher (links) - wurde vom Landgericht Arnsberg zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt.
Abdelkader B. - hier mit einem Justizbeamten und seinem Dolmetscher (links) - wurde vom Landgericht Arnsberg zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. © Daniel Schröder

Die Polizei verschwieg einer Vergewaltigung, die sich in Soest auf offener Straße ereignet hat. Daran gibt es Kritik - auch vom Anwalt des Opfers.

Soest – In Soest wird eine Frau auf offener Straße vergewaltigt. Polizisten nehmen den Täter auf frischer Tat fest. Bis der Täter vor Gericht steht, erfahren die Soester Bürger nichts über das schwere Verbrechen in ihrer Stadt. Die Polizei ließ die Öffentlichkeit im Dunkeln und erklärt ihr Schweigen damit, sie habe das Opfer schützen wollen. Daran gibt es Kritik und Unverständnis – auch vom Anwalt des Opfers.

Der Mann, der eine Soesterin am 30. Oktober 2022 nach einer Kneipennacht in aller Öffentlichkeit in Soest vergewaltigt hat, wurde mittlerweile zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Bei der Anklageverlesung betonte Oberstaatsanwältin Claudia Rosenbaum das „besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung“.

Schon während des Prozesses gab es Kritik an der Polizei

Dass es die Straftat, die da verfolgt und letztlich bestraft wurde, überhaupt gegeben hat, erfuhr die Öffentlichkeit allerdings rund sechs Monate lang nicht. Erst durch den Prozess gegen Abdelkader B. kam die Tat ans Licht. Die Pressestelle der Kreispolizeibehörde Soest hatte sich nach der Tat dagegen entschieden, eine Pressemitteilung zu dem Fall herauszugeben. Daran gab es schon im Laufe des Prozesses, als unsere Redaktion in der Behörde nachhakte, warum der Fall von der Polizei verschwiegen worden war, Kritik.

Auch nach der Verurteilung des Täters beharrt die Polizei darauf, dass ihr Vorgehen richtig war. Polizeisprecherin Diana Kettelhake beruft sich auf Paragraf 4, Absatz 2 des Landespressegesetzes. „In diesem Falle besteht ein besonders schutzwürdiges privates Interesse“, so die Pressesprecherin der Kreispolizeibehörde.

Polizeisprecherin regt zum „Perspektivwechsel“ an

Kettelhake: „Der Schutz des Opfers eines solchen Sexualdeliktes hat die oberste Priorität. Der Sachverhalt war in diesem Falle eindeutig und der Täter ist unmittelbar am Tatort festgenommen worden. Eine Öffentlichkeitsfahndung und auch ein Zeugenaufruf waren in diesem konkreten Fall nicht erforderlich. Ich möchte an dieser Stelle auch einfach mal zum Perspektivwechsel anregen. Wäre ich in der Rolle des Opfers, hätte ich eine großformatige Meldung mehr als belastend empfunden. Die Tat an sich ist schon schlimm genug. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie sich das Opfer derzeit fühlt, das beim Aufschlagen der Zeitung und beim Klicken im Internet immer wieder mit der Tat konfrontiert wird. Auch bei anonymisierten Meldungen dauert es erfahrungsgemäß nur kurze Zeit, bis die Personalien und die Gesamtumstände einer Tat in Umlauf geraten. Besonders in einer überschaubaren Stadt wie Soest lassen sich sehr schnell Rückschlüsse auf das Tatgeschehen, Opfer und Tatverdächtige ziehen.“

Opfer-Anwalt: „Veröffentlichung hätte sofort erfolgen müssen“

Im Rahmen der Berichterstattung über die Straftat und den Gerichtsprozess verzichtete unsere Redaktion bewusst darauf, das Alter des Opfers sowie den genauen Tatort zu nennen. Klaus Picker, Anwalt des Opfers und Vertreter der Nebenklage, kritisiert die Polizei: „Natürlich hat die Polizei stets vor der Veröffentlichung einer solchen Meldung den Ermittlungsstand und das Interesse eines Opfers zu berücksichtigen. Doch das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist gerade bei einer solchen Straftat sehr gewichtig, auch wenn der Täter bereits gefasst ist. Eine Veröffentlichung hätte sofort erfolgen müssen. Dabei hätte die Anonymität des Opfers weiter in vollem Umfang gewahrt werden können. Durch eine Entscheidung, wie die Polizei sie in diesem Fall getroffen hat, leidet das Vertrauen des Bürgers. Er hat dadurch keine Chance, sich auf potenzielle Gefahren einzustellen.“

Die Polizeisprecherin nahm auch Stellung zu Leservorwürfen, die aufgrund des polizeilichen Schweigens über andere Hintergründe Mutmaßungen angestellt hatten: „Die Staatsangehörigkeit von Tatverdächtigen und Opfern spielt für die polizeiliche Ermittlungstätigkeit und die damit einhergehende Berichterstattung keinerlei Rolle.“

Grundsätzlich halte man sich bei der Polizei an das Landespressegesetz und eine Dienstanweisung. „Darüber hinaus beratschlagen wir uns in der Pressestelle unter Einbeziehung des zuständigen Fachkommissariates, ob Meldungen zu bestimmten Fällen erfolgen.“ Wie oft im vergangenen Jahr Fälle „aus Opferschutzgründen“ von der Polizei nicht publik gemacht wurden, konnte die Polizeisprecherin nicht sagen: „Konkrete Zahlen werden hierzu nicht erhoben.“

Innenministerium will Vorgehen der Polizei nicht bewerten

Dass die Kreispolizeibehörde Soest den konkreten Fall vom 30. Oktober 2022 nicht vermeldete, mochte das NRW-Innenministerium als übergeordnete Stelle nicht beurteilen. Aus dem Büro von Innenminister Herbert Reul (CDU) hieß es, dass der „Erlass Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Polizei Nordrhein-Westfalen vom 15. November 2011 bindend ist“. Nach diesem Erlass „verantworten die Pressestellen der 47 Kreispolizeibehörden des Landes NRW sowie die Landesoberbehörden die Herausgabe von Pressemitteilungen in Abstimmung mit der Behördenleitung größtenteils selbst. Ausnahmen können sich beispielsweise im Zusammenhang mit laufenden Ermittlungsverfahren ergeben, bei denen eine Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft erfolgen muss. Die Pressearbeit ist auszurichten an den Messgrößen Wahrheit, Schnelligkeit, Aktualität und Relevanz“, so Christoph Wickhorst, Sprecher für Polizeiangelegenheiten.

Wickhorst: „Generell gilt für die Polizei der Grundsatz der Transparenz, trotzdem werden sensible Informationen wie die Identität von Personen mit größter Sorgfalt behandelt. Die Kreispolizeibehörden bewerten dies in eigenem Ermessen und entscheiden anhand der vorliegenden Informationen über die Veröffentlichung des Sachverhalts.“

„Jeder Fall ist als Einzelfall zu betrachten“

Auf die Frage, ob die Kreispolizeibehörde Soest wieder auf eine Information der Öffentlichkeit verzichten würde, wenn sich ein vergleichbarer Fall noch einmal im Kreis Soest ereignen sollte, antwortete Diana Kettelhake: „Jeder Fall ist als Einzelfall zu betrachten und wird daher auch separat geprüft. Natürlich auch immer im Hinblick auf die rechtliche Lage und den Stand der Ermittlungen.“

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