Ladendiebe in Soest immer dreister –„Es ist wirklich unglaublich, was hier los ist“

Es hat sich etwas verändert in der Soester Fußgängerzone. Kaum zu übersehen ist die erhöhte Präsenz der Polizei. Und Tatsache ist: Laden- und auch Taschendiebstähle haben in Soest deutlich zugenommen.
Soest – In den Geschäften in der Brüderstraße ist es das beherrschende Thema. Wer nachfragt, hört Geschichten von jungen Männern mit Rucksäcken, die in Drogerie und Parfümerie „alles einstecken, was teuer ist“ und schnurstracks wieder aus dem Laden verschwinden. „Vorarbeiter“, die massenhaft Kleidung in große Einkaufstaschen stopfen und die im Laden verstecken, wo sie später von unauffällig wirkenden Komplizen abgeholt werden.
Schon die Zahl der Fälle, in denen der Ladendiebstahl bemerkt wird und Mitarbeiter die Diebe festhalten und die Polizei rufen konnten, habe sich erheblich erhöht, berichtet ein Filialleiter. „Bis zu verzehnfacht.“ Dazu kämen all die Diebstähle, die erst auffallen, wenn die Diebe schon über alle Berge sind. Wo ganze Ständer abgeräumt sind, ganze Regale wie leergefegt.
Das Vorgehen wirke häufig gut einstudiert und werde immer dreister. „Wir haben das Gefühl, dass sie gezielt kommen, wenn nur eine Verkäuferin im Laden ist“, beschreibt eine Mitarbeiterin der Stadtparfümerie Pieper. Einen Vorfall erinnert sie so: Zwei Familien betraten den Laden, die Männer begutachteten die Herrenparfüms, die Frauen interessierten sich für die Damendüfte. Einer habe dann am Verkaufstresen Fragen gestellt. Die perfekte Ablenkung: Während sie beriet, räumten die Täterinnen ihre hochwertige Beute in die Kinderwagen und verließen den Laden.
„Es ist wirklich unglaublich, was hier los ist“, hört man in einer benachbarten Drogerie. Die Polizei nennt auf Nachfrage Zahlen: Demnach haben sich die Ladendiebstähle in den ersten vier Monaten des Jahres 2023 im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 71,6 Prozent (von 106 auf 254 Fälle) erhöht. Das sind aber nur die registrierten Fälle. „Wir müssen es ja auch erstmal mitkriegen“, sagt eine Mitarbeiterin einer weiteren Modefiliale.
Gestiegen ist im gleichen Zeitraum übrigens auch die Zahl der Taschendiebstähle, die bei der Polizei zur Anzeige gebracht wurden. 19 Fälle bedeuten einen Anstieg von 146,1 Prozent im Vergleich mit dem Vorjahreszeitraum, das Dunkelfeld dürfte bei dieser Form der Eigentumsdelikte deutlich kleiner sein als beim Ladendiebstahl.
Das verläuft häufig in Wellen.
Michael Stock, Geschäftsleiter im Modehaus Kress, bemerkt keinen so starken Anstieg wie die Drogerien und Filialisten in der nächsten Nachbarschaft. „Das verläuft häufig in Wellen.“ Auch er berichtet von gut organisierten Tätern, das Klauen ziehe sich aber grundsätzlich durch alle Gesellschaftsschichten, „das sehen Sie den Leuten nicht an“.
Einen Verdacht hat mancher trotzdem: Dass kleine Fische angestiftet, vielleicht sogar unter Druck gesetzt werden, auf Diebestour zu gehen. „Hinweise auf konkrete Bandenstrukturen liegen nicht vor“, sagt dazu Polizeisprecherin Diana Kettelhake. So lässt sich über Motive nur spekulieren. Finanzielle Nöte könnten genauso eine Rolle spielen wie der Wunsch nach Teilhabe am Wohlstand.
Und ein Zusammenhang mit der vollen Belegung der Zentralen Unterbringungseinrichtungen? Für viele, die in den Geschäften der Innenstadt täglich mit den Diebstählen zu tun haben, liegt der auf der Hand.
Die Polizei hält sich mit einer solchen Einordnung zurück. Gleichwohl beantwortet Diana Kettelhake die Frage nach präventiven Ansätzen, insbesondere in Zusammenarbeit mit der ZUE, so: „Die Polizei Soest steht im engen Kontakt mit der ZUE Soest.“
Redaktioneller Hinweis
Insbesondere Mitarbeiter von Filialen großer Konzerne äußern sich nur anonym; zunehmend verpassen große Unternehmen ihren Angestellten vor Ort einen „Maulkorb“ gegenüber der Presse.