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Die Kultur ist in einer prekären Lage - das Publikum bleibt weg

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Von: Kathrin Bastert

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Thomas Wachtendorf Alter Schlachthof Soest
Das Halbjahresprogramm des Alten Schlachthof ist prall gefüllt. Aber manche Agentur sagt angesichts schlechter Vorverkaufszahlen ab. © Peter Dahm

Die Corona-Pandemie hinterlässt Spuren. Kulturelle Veranstaltungen leiden unter nachhaltigem Publikumsschwund.

Soest – Die Absage klingt fast ein bisschen lapidar. „Aufgrund der anhaltend schwierigen Situation resultierend aus Pandemie- und Energiekrise wurden für diese Veranstaltung leider zu wenig Eintrittskarten verkauft“, teilt am Freitag „Mitunskannman.Reden.“ mit. Der Oldenburger Veranstalter wollte am 27. September die „Komische Nacht“ in den Schlachthof, ins Lamäng, Solista und Zwiebel’s Sudhaus bringen.

Es wird nichts draus, und es ist nicht die einzige Veranstaltung, die in diesen Tagen abgesagt wird. Am Mittwoch cancelte Pubertäts-Versteher Matthias Jung seinen für Samstag ebenfalls im Schlachthof geplanten kabarettistischen Auftritt.
Das Halbjahresprogramm des Kulturhauses schmälert das nur wenig, Thomas Wachtendorf und Florian Hanrath haben bis Dezember noch jede Menge Termine im Kalender. Sorgen machen sie sich trotzdem. Ihre größte ist die um sich greifende Trägheit.
Zu vielen ist das eigene Sofa auch nach dem Ende der heißen Phase der Pandemie noch näher als der urige Schlachthof, zu wenige lassen sich zu Konzert, Lesung, Kabarett oder Kino bewegen.

Wachtendorf unterscheidet zwischen eingefleischten Kulturjunkies – „die kommen immer noch“ – und den „Mitnahmegästen“. Letztere sind ein schwieriges Klientel und kaum noch zu motivieren. Leider machen sie einen erheblichen Teil der Kundschaft aus.
Zwischen 10 und 40 Prozent ausgelastet seien die Abende im Alten Schlachthof, sagt der Geschäftsführer. Das ist beileibe kein Soester Phänomen, „selbst der Broadway spielt vor 30 Prozent“, aber es ist schmerzlich. Mehr als das. Die Situation ist prekär. „Unser Programm ist eigentlich eine Marketingmaßnahme“, sagt Wachtendorf. Abgesagt werde weiterhin seitens des Schlachthofs nicht, „selbst wenn nur acht Leute kommen.“

Aber viele Agenturen nehmen ihre Vorverkaufszahlen als Indikator, schrecken davor zurück, auf Kurzentschlossene oder gar die Abendkasse zu setzen. Dabei beobachte man durchaus, dass die Leute spontaner werden, sagt auch Stadthallen-Prokurist Rainer Renneke. Das möge anders sein bei großen Namen, wo man befürchte, leer auszugehen, wenn man nicht frühzeitig die Karten sichere. Bei vielen anderen Veranstaltungen ergebe sich der Kauf ein, vielleicht zwei Wochen vor dem fraglichen Termin.
Zeitweise täuschte die Menge an Veranstaltungen über die wirkliche Lage hinweg.

Auch in der Stadthalle lief in den Sommermonaten viel, was wegen der Pandemie verschoben worden war. Dazu zählte das Konzert mit Sasha bekanntlich ebenso wie der gleichzeitige Comedy-Auftritt von Johann König nebenan. Beide Veranstaltungen ausverkauft. Aber eben schon seit Jahren. Und: „Es sind eine ganze Menge Plätze freigeblieben“, wundert sich Thomas Wachtendorf, dass so viele ihre Tickets nicht zurück- oder weitergaben, obwohl sie den Preis schon bezahlt hatten.
Rainer Renneke muss nach Abenden mit Sasha (1500) und Barock (1000 Gäste) sicher nicht unruhig schlafen. Doch rechnet er wie der Schlachthof-Chef bald wieder mit einer größeren Zahl an abgesagten Events.

Sein Eindruck sei, dass Tourneeplaner auch abwarten, ob sich in Sachen Förderung Neues ergebe. Zurzeit gebe es die Möglichkeit, über das Programm „Neustart Kultur“ bis zu 50 Prozent der Gagen und Nebenkosten zurückzuerhalten. Doch was wird nachfolgen?
Auch droht längst das nächste große Problem. Immerhin hätte sich noch 2019 niemand in Deutschland vorstellen können, dass Kulturhäuser, Stadthallen, Bühnen jemals vollständig geschlossen werden könnten. Jetzt halte man so ein Szenario angesichts von Energiesparmaßnahmen für erschreckend realistisch, sagt Schlachthof-Programmplaner Florian Hanrath. Und selbst wenn die Schließung ausbleibt: Wer kommt, wenn er befürchten muss, zu frieren?

Dabei hatten doch alle das Weggehen vermisst, in den Lockdowns. Kultur regelrecht herbeigesehnt!? Thomas Wachtendorf zieht in dieser Hinsicht nüchterne Bilanz. Viele glaubten, das Live-Erlebnis durch die Zweidimensionalität des Bildschirms ersetzen zu können. Er wird nicht müde, zu betonen, „dass Kultur keine Unterhaltung ist.“ Sie sei identitätsstiftend für eine Gesellschaft, „was wäre das für eine Gesellschaft, in der es keine Kultur gibt?“

Soest habe Besonderes zu bieten, sagt Rainer Renneke. Mit der Stadthalle und dem Schlachthof verfüge man gleich über zwei Veranstaltungsorte, bei denen viele andere Städte nicht mithalten können. Dazu sei man auch dank vieler anderer Kulturakteure in der Bördestadt extrem breit aufgestellt. Künstler rufen inzwischen ihr Publikum direkt auf, den Vorverkauf zu nutzen. Sicher ist: Wer in Zukunft wählen will, muss jetzt hingehen. Das Angebot ist groß. Noch ist es das.

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