Krise am Klinikum Stadt Soest: Das sagt der Betriebsrat

Soest - Die 1000 Mitarbeiter im Klinikum Stadt Soest erleben derzeit ein Wechselbad der Gefühle: Die finanzielle Schieflage, die Corona-Krise und die nicht enden wollende Diskussion um die Zukunft des Hauses zehren an den Nerven. Ein Besuch beim Betriebsrat.
„Wir sind sauer. Wir sind enttäuscht. Wir sind wütend. Wir fühlen uns allein gelassen“, fasst Birgit Didjurgeit die Stimmung im Haus zusammen. „Einerseits gehen die Kollegen trotz aller Sorgen noch immer gerne zur Arbeit; andererseits erhalten sie dafür aber immer weniger Wertschätzung.“
Da können die anderen Mitglieder des Betriebsrats nur zustimmen. Insbesondere die negativen Schlagzeilen der vergangenen Monate liegen schwer im Magen. „Wenn etwas im medizinischen Ablauf nicht gleich klappt, dann sagen einige Patienten, dass sie hier ja keine Leistungen mehr bekommen, weil wir sparen müssten“, nennt Ulla Hartmann ein Beispiel.
"Zu Euch kommen wir nicht mehr"
Christiane Biermann ergänzt: „Zu mir hat eine Frau gesagt: Zu euch komme ich gar nicht mehr. Wer weiß, ob ihr in drei Wochen noch da seid.“ Andere Patienten präsentierten Zeitungsberichte mit dem Hinweis, dass man das zuerst lesen müsse, ehe man über eine Behandlung nachdenke. Ein Beispiel reiht sich an das andere. Allen gemeinsam ist, dass die Befürchtungen und Sorgen unbegründet sind. Klar wird aber auch: Bei den Bürgern haben die Ereignisse einen schweren Image-Schaden verursacht.
Solche Situationen wirken nach. Und kosten Kraft. „Wir sind hier alle der Meinung, dass wir als Mitarbeiter einen guten Job gemacht haben in den vergangenen Jahren. Und von außen bekommen wir den Spiegel vorgehalten und werden gefragt, wieso wir fast pleite sind“, meint Claudia Aden, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende. Und: „Niemand verkennt hier den Ernst der Lage. Aber die Situation noch schwärzer zu malen, das hat das Haus nicht verdient.“
Die Kritik tut weh, führt zu Fragen. „Viele haben sich schon eingebracht bis an die Grenzen und fragen sich jetzt: Was soll ich noch aus mir herausholen?“, sagt Michael Kraus.
Kollegen haben gekündigt
Klar ist: Das Klinikum befindet sich personell in einer schwierigen Lage. Die Diskussionen um die Zukunft des Hauses haben schon zu Kündigungen geführt, „weil auch langjährige Mitarbeiter sich die Frage stellen, ob sie ihre Existenz in einem anderen Haus nicht besser sichern“. Das sagt Jörn Tyralla als Betriebsratsvorsitzender. Bewerber um Stellen etwa in der Pflege winkten ab, wenn sie um die Situation der Klinik wissen. Vor Corona hat das zu vielen Überstunden geführt. Inzwischen konnten viele davon abgebaut werden.
Ob dadurch die Qualität leidet? „Nein“, sagt Ulla Hartmann, „denn trotz aller Schwierigkeiten kommen die Kollegen gerne her, machen ihre Arbeit gut und mit viel Freude.“
So sei etwa die Aktion „#WirsindKlinikum“ eine Initiative der Mitarbeiter. Auf einem Foto hatten sich viele Mitarbeiter mit der Botschaft präsentiert, weiterhin für die Patienten da zu sein. Gerne.
„Die Menschen in Soest dürfen sich vor Augen führen, dass wir ein Generationen-Krankenhaus sind. Und da gibt es eben auch Abteilungen, die nicht ausreichend finanziert sind“, sagt Claudia Aden. Wer etwa eine Geburtsstation in Soest haben wolle, wer eine funktionierende Notaufnahme wolle, der müsse auch konsequent sein und die Kosten dafür tragen. Zwar sei es in der Vergangenheit immer wieder gelungen, die Defizite in einer Abteilung durch Überschüsse in anderen zu kompensieren, doch dafür gebe es keine Garantie.
„Wenn am Ende entschieden wird, dass es bei uns keine Geburten mehr geben soll, dann gibt es eben keine kleinen Soester mehr“, bringt Ulla Hartmann eine mögliche Konsequenz auf den Punkt. Geplant sei die Schließung der Geburtsabteilung aktuell aber nicht. Ähnliches gelte für die Notaufnahme: Wer eine Versorgung rund um die Uhr wolle, müsse eben auch bereit sein, die Kosten dafür zu tragen. „Die Notaufnahme kostet Geld. Das ist überall so. Wenn wir sie haben wollen, dann müssen wir sie auch bezahlen“, sagt Claudia Aden.
Entscheidend sei nun, dass der Soester Rat die Richtung vorgebe fürs Klinikum. „Wir sind ein kommunales Haus. Jetzt ist die Politik am Zug“, hofft Jörn Tyralla auf klare Signale.
Wohin also soll sie gehen, die Reise des Klinikums? Aus der Politik kommen gerade jetzt vor der Kommunalwahl die unterschiedlichsten Signale. In Soest wollen die einen eine enge Kooperation mit dem Marienkrankenhaus, die anderen ein eigenständiges Klinikum, wieder andere möglichst keine Kosten für die Stadt. Und bundesweit gehe es in Corona-Zeiten eher hin zu kleineren Einheiten, ansonsten hin zu großen Gesundheits-Zentren. Jörn Tyralla: „Das alles bekommen die Mitarbeiter natürlich mit. Es trägt zur Verunsicherung bei.“
Sie wollen einfach arbeiten
Verunsicherung hat auch die Corona-Krise gebracht. Nicht nur, weil sie im Klinikum viele Abläufe auf den Kopf stellte. Vor allem auch deshalb, weil sie die Kommunikation erschwerte. So fielen geplante Versammlungen dem Virus zum Opfer „obwohl Kommunikation gerade jetzt so wichtig ist“.
Überhaupt, die Kommunikation: „Wir wünschen uns für die Zukunft eine vertrauensvolle, transparente, umfassende Kommunikation mit der Unternehmensführung“, so Tyralla. Denn nur mit umfassenden Informationen könne man als Betriebsrat die Prozesse zur Neustrukturierung begleiten – und die vielen Fragen aus der Belegschaft beantworten.
Was die Mitarbeiter sich sonst noch wünschen? Claudia Aden: „Ein gutes Regionalkonzept, in das wir eingebunden sind. Und dass wir hier wieder ganz normal unserer Arbeit nachgehen können, die wir ja gerne machen.“
Der wichtigste Wunsch: „Wir wollen, dass unsere tägliche Arbeit wieder wertgeschätzt wird, dass wir wieder positiv wahrgenommen werden“, sagt Jörn Tyralla. Gelingt das, dann wären die aktuellen Befindlichkeiten bald Geschichte. Welche? „Wir sind sauer. Wir sind enttäuscht. Wir sind wütend. Wir fühlen uns allein gelassen.“
"Update Neuausrichtung" informiert
Die Unternehmensleitung des Klinikums gibt ab sofort wöchentlich ein „Update Neuausrichtung“ an die Mitarbeiter heraus. Bei den „Schwerpunkten der kommenden Wochen“ gehe es um „die Information und Beteiligung von Führungskräften und Mitarbeitern zur Vorbereitung der Sanierung und Neuausrichtung“. Unter anderen soll eine „Standortbestimmung und Erarbeitung eines gemeinsamen Führungs- und Werteverständnisses zur Neuausrichtung“ herausgearbeitet werden. Von Montag an gibt es zudem eine wöchentliche Mitarbeiter-Sprechstunde. Geplant ist ferner, Führungskräften und Betriebsrat das KPMG-Gutachten vorzustellen und zu diskutieren. Im August sollen dann auch die Mitarbeiter informiert werden.