Dazu kam ein längerfristiger, krankheitsbedingter Ausfall. Und auch über den langen Ausfall hinaus muss Spiekermann derzeit mit einem hohen Krankenstand umgehen – Stichwort Corona- und Erkältungswelle. „Wir haben die Möglichkeit, kurzfristig Personal aus anderen Bereichen zu beschaffen, ausgeschöpft. Wir haben Stunden aufgestockt, eine verrentete Kollegin stundenweise zurückgeholt.“ Ein Teil der Ausfälle habe so eine Zeit lang kompensiert werden können, sagt die junge Kita-Leitung. „Das kann nur kurzfristig Abhilfe schaffen, da die Kinder ihnen bekannte und vertraute Personen brauchen.“ Es sei keine andere Lösung geblieben, als in den Notbetrieb zu gehen.
Eltern bringt das zum Teil in prekäre Situationen. Denn wer Vollzeit oder in Schichten arbeitet, ist auf die langen Betreuungszeiten angewiesen. Dass der entsprechende Bedarf besteht, müssen Familien zu Beginn eines Kindergartenjahres nachweisen. Ein Anspruch auf den vollen Umfang lässt sich daraus aber nicht ableiten. „In der Regel“ beziehe sich der Rechtsanspruch auf einen Umfang von 35 Stunden, erklärt das städtische Jugendamt. „Ist dies krankheitsbedingt auf Grund von Personalengpässen nicht umsetzbar, kann dies nicht als ‘nicht erfüllter Rechtsanspruch’ interpretiert werden.“
Eine Notlösung für Eltern anzubieten, die privat keine Möglichkeit haben, ihre Kinder über die 25 Stunden hinaus betreuen zu lassen, gelang zunächst nicht, bedauert Gina Spiekermann, „wir arbeiten mit Nachdruck daran.“ Schon innerhalb der nächsten Tage soll in enger Abstimmung mit dem Elternrat das Angebot für die sonst ganztags betreuten Kinder ausgeweitet werden, seit Montag schon beginnt der Kindergartentag bereits um 7.30 Uhr, was für leichte Entlastung sorgt. „Die Kolleginnen, die noch im Dienst sind, sind fast alle Teilzeitkräfte. Wir müssen jeden Kindergartentag vor- und nachbereiten und haben den Anspruch, auch in dieser Situation bestmögliche Qualität und pädagogische Angebote zu bieten.“
Eine betroffene Mutter berichtet, das Soester Jugendamt winke bei der Frage nach alternativen Betreuungsmöglichkeiten ab. Auf Nachfrage erklärt die städtische Abteilung Jugend und Soziales, dass ein Angebot, Kinder in einer anderen Kita betreuen zu lassen, aus zwei Gründen nicht infrage komme. So seien in der Regel keine Plätze in anderen Einrichtungen vorhanden. Ohne die entsprechende Eingewöhnungszeit lasse sich ein Kind auch nicht in eine beliebige andere Einrichtung heben. Der Träger sei verpflichtet, Lösungen zu erarbeiten, „die zum Wohle der Kinder sind.“ Das bedeute, er könne bei Personalmangel nicht die gleiche Anzahl an Kindern betreuen – „der Träger hat somit richtig reagiert.“ Die Aufsicht führe aber nicht die lokale Behörde, sondern das Landesjugendamt. Auch mit dem bestehe ein enger Austausch, sagt Gina Spiekermann.
Die betroffene Mutter stellt allerdings infrage, ob seitens des Trägers tatsächlich alles getan werde, um neues Personal zu finden. Aus ihrer Sicht habe die Suche erst verzögert begonnen. Und bisher, so berichtet sie, wisse sie nur von der Ausschreibung einer befristeten Stelle. Das ist mindestens seit Anfang vergangener Woche anders. Auf der Website des Paradies-Kindergartens sucht der Träger, das ist der Evangelische Versorgungshaus-Verein für Westfalen, eine Besetzung für eine unbefristete Stelle mit einem Umfang von 39 Wochenstunden (Vollzeit).
Das Verfahren laufe, sagt Gina Spiekermann, und es meldeten sich auch bereits Bewerber. Man habe sogar schon Bewerberinnen, die im „Paradies“ hospitieren werden und „im besten Fall die Stelle besetzen.“ Allerdings: „Alle befinden sich zurzeit noch in einer Anstellung“, sagt die Einrichtungsleiterin. Eine kurzfristige Besetzung scheint also utopisch.
Spiekermann versichert: „Wir suchen mit Nachdruck geeignetes Personal, unter anderem über verschiedene Stellenmärkte und -portale im Internet, darunter auch solche, in denen speziell Sozialarbeiter- und Erzieherstellen veröffentlicht werden, natürlich auch über die Agentur für Arbeit usw.“ Unterstützt werde die Einrichtung dabei von der Diakonie, die mit dem Träger eng kooperiere – Christian Korte, Vorsitzender der Diakonie Ruhr-Hellweg, ist in diesem Jahr zum Vorstand des Versorgungshaus-Vereins gewählt worden. Der Träger tue viel dafür, dass sich Personal für den Paradieskindergarten entscheide.
Die Kita-Chefin betont: „Es gibt schlicht zu wenig geeignetes Personal. Vor diesem Problem stehen viele Einrichtungen. Das macht es noch schwerer. Man kann in der aktuellen Situation nicht ohne Weiteres Erzieher gewinnen.“ Das weiß auch das Jugendamt. Bisher sei es zwar in weiteren Soester Einrichtungen noch nicht zu einem anhaltenden Notbetrieb gekommen, „auszuschließen ist dies jedoch nicht und kann jede Kita treffen.“
Der Fachkräftemangel in Kitas ist auch deshalb so dramatisch, weil er einen Rattenschwanz nach sich zieht. In Großstädten ist die Situation zum Teil schon katastrophal. Das Dilemma: Wer keine Betreuung findet, kann nicht arbeiten. Und ist vielleicht selbst Fachkraft...
Allein Nordrhein-Westfalen hat nach Daten der Bertelsmann-Stiftung einen Personal-Mehrbedarf von 19,2 Prozent, um die Betreuungswünsche der Eltern zu erfüllen. Dabei sei in NRW von einer Unterdeckung des Wunsch-Bedarfs auszugehen: Demnach lag die Betreuungsquote für Unter-Dreijährige 2021 landesweit bei 29,6 Prozent, demgegenüber hatten 44,3 Prozent der Eltern von Kindern unter drei Jahren einen Betreuungswunsch. Theoretisch besteht ein Rechtsanspruch auf Betreuung schon ab dem ersten Lebensjahr, wobei für Kinder unter einem Jahr ein Bedarf nachgewiesen werden muss. Für Soest geht das zuständige Jugendamt von einer Bedarfsquote von 41,2 Prozent aus.
99 Prozent der Soester Über-Dreijährigen besuchen eine Kita. Im laufenden Kindergartenjahr konnte allen Soester Eltern ein Kita-Platz angeboten werden. Die Bertelsmann-Stiftung beschreibt allerdings auch eine nicht-kindgerechte Personalausstattung in 71,5 Prozent der Kindergartengruppen in Nordrhein-Westfalen. Das heißt: In fast drei Viertel aller Einrichtungen haben die Fachkräfte nicht genug Zeit, um die Anforderungen – neben der unmittelbaren pädagogischen Praxis auch Zeit für Elterngespräche, Teamsitzungen, Bildungsdokumention – vollumfänglich zu erfüllen. Dazu kommt, dass Ausfallzeiten durch Urlaub, Fortbildung und Krankheit häufig nicht durch andere Kräfte aufgefangen werden können.