Fragte man Wirth in der Vergangenheit, welche Einsätze ihn besonders bewegt haben, waren es nicht die vielen schlimmen Unfälle oder Großbrände. Vor allem die kleinen Einsätze, über die später nicht öffentlich gesprochen wurde, hinter denen jedoch große Schicksale steckten, blieben ihm im Gedächtnis. Für Wirth zählte vor allem der Mensch. Das zeigte er nicht nur in seinem Soest. Als die Flutkatastrophe unzählige Menschen in NRW und Rheinland-Pfalz vor das Nichts stellte, half er. Erst als Führungskraft in Uniform, später in verdreckter Arbeitshose als privater Helfer mit weiteren Verbündeten aus der Region im Ahrtal.
Er konnte unmissverständliche Befehle geben, verlernte es jedoch nie, selbst anzupacken. Seine Kameraden bezeichnen ihn als „Macher“, als „Praktiker“, als jemanden der sein eigenes Leben über Jahrzehnte zurückstellte, um da zu sein, wenn andere seine Hilfe und die seiner Feuerwehr brauchten. „Von dieser Sorte gibt es heutzutage nicht mehr viele Menschen“, sagt Karsten Korte, Leiter der benachbarten Feuerwehr Werl.
Gleichwohl lebte Jürgen Wirth nach klaren Prinzipien, denen er die Treue hielt. Dabei scheute er keinen Konflikt, eckte auch mal an. Gleichzeitig nahm er vor allem die Menschen ernst, die ihm im wahrsten Sinne des Wortes gewachsen waren, in der Lage dazu, seine verbalen Spitzen mit einem flotten Spruch zu kontern. An mancher Kabbelei, manch harmlosen Wortgefecht, hatte er sichtlich seinen Spaß.
Wirth war tief verankert und weit vernetzt in der Welt der Feuerwehr. In Soest, im Kreis, im Land, international. Nicht ohne Grund kam selbst aus den USA die Frage, wie es „Chief Jürgen“ gehe, als die Krankheit seinen unstillbar geglaubten Antrieb immer weiter ausbremste.
„Mit Jürgen ist ein wichtiges Mitglied unserer Feuerwehrfamilie von uns gegangen“, bedauert der Kreisbrandmeister. Als Leiter einer Feuerwehr, die in dieser Größenordnung trotz der Freiwilligkeit eher einem mittelständischen Unternehmen gleicht, kann man es nicht immer allen recht machen. Das wusste Wirth.
Dennoch, so beschreiben es viele Wegbegleiter, gelang ihm der Spagat zwischen Spaß und Ernst. Er habe es geschafft, trotz großer Verantwortung und großem Druck, Mensch und Kamerad zu bleiben. „Mit Jürgen konnte man Pferde stehlen“, unterstreicht Christoph Blume. Ein weiterer Kamerad bestätigt: „Mit ihm konnte man sich benehmen wie ein kleines Kind und trotzdem eine Stunde später auf höchstem Niveau zusammen im Einsatz agieren.“ Blume: „Für mich war Jürgen Freund, Kamerad und Mentor. Ich bin ihm für vieles dankbar.“
Wirths Vita beeindruckt: 18 Jahre Leiter der Feuerwehr Soest, sechs Jahre als Bezirksbrandmeister der ranghöchste Feuerwehrmann im gesamten Regierungsbezirk. „Wenn man alles zusammenrechnet, hatte ich 27 Führungsaufgaben“, erklärte Wirth im Mai 2021 im Gespräch über seinen Abschied als Leiter der Feuerwehr. Ein Jahr später erhielt er für seine Verdienste mit dem Deutschen Feuerwehr-Ehrenkreuz in Gold die größte Auszeichnung, die einem Feuerwehrangehörigen in Deutschland zuteil werden kann. Der Bundespräsident verlieh ihm zudem die Bundesverdienstmedaille.
Bei seinem Abschied versprach er, dass er auch nach seiner Zeit als Feuerwehr-Chef im normalen Einsatzdienst weitermachen wolle. Er sagte: „Ich möchte die 50 Jahre im Feuerwehrdienst vollmachen.“ Das schaffte er in 2023.
Für die Erfüllung eines noch größeren Wunsches raubte ihm die Krankheit am Ende Zeit und Kraft. Als er vor fast zwei Jahren auf seine Zeit als „Wehrführer a.D.“ vorausblickte, freute er sich vor allem auf die Zeit mit seiner Familie, mit Frau Marianne und Sohn Moritz. Wenige Monate später erhielt er die Diagnose, die zu seinem schwersten Einsatz werden sollte.