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Die Unterkunft ist nur der Anfang

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Von: Kathrin Bastert

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Evelina Köthschneider (links) holte zusammen mit ihrer Freundin Barbara (2. v. r) ihre Mutter, Schwägerin, Nichte und Hund Willi aus Budapest ab. Die Ukrainerinnen hatten da bereits eine sechstägige Tortur hinter sich.
Evelina Köthschneider (links) holte zusammen mit ihrer Freundin Barbara (2. v. r) ihre Mutter, Schwägerin, Nichte und Hund Willi aus Budapest ab. Die Ukrainerinnen hatten da bereits eine sechstägige Tortur hinter sich. © Köthschneider

Evelina Köthschneider war eine der ersten, die Familienmitglieder aus der Ukraine nach Soest holte. Inzwischen sind in der Verwandtschaft schon viele untergekommen.

Soest – Nach und nach erhält die Hilfe Struktur. Als Evelina Köthschneider mit einer Freundin nach Ungarn aufbricht, um ihre Mutter, Schwägerin und Nichte nach deren bereits sechstägiger Flucht aus der Ukraine abzuholen, ist noch viel Improvisation gefragt. Sie ist am Montag darauf eine der ersten, die bei der Stadt Soest mit dem Wunsch vorstellig werden, die Verwandtschaft anzumelden. „Ich wurde erst einmal von einer Stelle zur nächsten geschickt.“ Die Formulare, die sie schließlich ausfüllt, sind eigentlich nicht die richtigen. Doch es wird improvisiert, es wird getan, was möglich ist, sagt die Soesterin.

Inzwischen hat die Stadt im Stadtteilhaus eine Anlaufstelle eingerichtet. Wer vor Putins Angriff auf die Ukraine flüchtet, hat in Deutschland zunächst, ohne jede Pflicht zur Registrierung, das Recht, 90 Tage zu bleiben. Wer allerdings finanzielle Unterstützung braucht, der muss eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Dann erhält er Leistungen „analog zum Asylbewerberleistungsgesetz“, erläutert Stadtsprecher Thorsten Bottin. Für mindestens ein Jahr, verlängerbar auf drei Jahre, besteht dann ein Aufenthaltsrecht. Wer im Stadtteilhaus ein entsprechendes Schutzgesuch stellt, erhält direkt eine Abschlagszahlung von 50 Euro und kann auch eine Pauschale von 70 Euro je Person und Monat beantragen, um diejenigen für ihre Nebenkosten zu entschädigen, die den Ukrainern ein Dach über dem Kopf bieten. „Natürlich wird es bei diesen Leistungen auch Bedürftigkeitsprüfungen geben“, sagt Bottin.

Hilfe für die Ukraine: Sprachbarriere ist nicht zu unterschätzen

Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz stehen Erwachsenen mit weniger als 200 Euro Vermögen monatlich 367 Euro zu, darüber hinaus, je nach Einzelfall, weitere Gelder. Der Status beinhaltet auch ein Arbeitsrecht. Die Köthschneiders haben für weitere Mitglieder aus Evelinas Familie Unterkünfte besorgt, Verwandtschaft, Freunde, Nachbarn helfen: Viele sind im Boot. Dass das auch eine große Herausforderung ist, will Andrea Köthschneider nicht unterschlagen. „Die Sprachbarriere ist nicht zu unterschätzen“, sagt sie, „der Google-Übersetzer ist eine große Hilfe, aber wer nicht, wie wir mit Evelina, jemanden hat, der Ukrainisch oder Russich spricht, wird es trotzdem schwer haben.“ Evelina Köthschneider hat inzwischen einige Erfahrung mit dem Papierkram, sie weiß, dass das Sozialamt auch für eine Krankenversicherung sorgt. Während sie erzählt, klingelt das Handy; das Bürgerbüro meldet sich mit der Information, dass die Köthschneiders noch Wohnungsgeberbestätigungen nachreichen müssen.

Die Köthschneiders haben inzwischen ein halbes Dutzend Ukrainer unterbringen können: Evelina, Peter und Andrea.
Die Köthschneiders haben inzwischen ein halbes Dutzend Ukrainer unterbringen können: Evelina, Peter und Andrea. © Kathrin Bastert

Tobias Gertig und seine Familie sind in ihrem Reihenhaus zusammengerückt. Den so geschaffenen Platz meldete der 37-Jährige auf einem Online-Portal, dort fanden ihn eine Ukrainerin und deren Tochter. Seit Freitag sind sie da, in Berlin hatte man den beiden Frauen den Tipp gegeben, sich nicht in der Hauptstadt registrieren zu lassen, sondern gleich weiter zu reisen und die Anmeldung erst am Zielort zu erledigen. Am Montag machte sich Gertig mit den beiden Frauen auf den Weg zum Stadtteilhaus. Auch er sagt: „Es muss jedem klar sein, der jemanden aufnimmt, dass es nur damit, einen Schlafplatz zur Verfügung zu stellen, nicht getan ist.“ Im Gegenteil, jetzt fängt die „Arbeit“ erst an. Es ist nicht leicht, sich in der Bürokratie zurechtzufinden. Dazu kommt die Verunsicherung auf Seiten der Frauen. Gertigs Gäste kommen aus dem Osten der Ukraine, dort haben sie vor allem russisches Fernsehen geschaut. „Sie hatten Angst, nach Deutschland zu kommen, sie dachten, man nehme ihnen hier den Pass ab und sperre sie ein.“

Soester helfen Ukrainern: Lösungen für Schulkinder

Geld, auch Dollar, lässt sich nicht oder nur bis zu einem Höchstbetrag tauschen, Bankkonten müssen eröffnet werden. Wer hilft bei der Ausstattung mit Kleidung, schließlich konnten viele nur das Allernötigste mitbringen? Und was ist mit den Kindern? Können sie zur Schule gehen? Volker Wilmes und Andreas Heihoff sprechen für die Soester Leitungen der Grund- und weiterführenden Schulen, wenn sie in dieser Hinsicht versichern können: „Dafür finden wir schnell Lösungen.“ Die Zahl der Anfragen sei noch sehr überschaubar, aber einige Kinder besuchten im Rahmen eines Gastschulverhältnisses inzwischen den Unterricht. Voraussetzung dafür sei lediglich eine Meldung beim Einwohnermeldeamt, erläutert Wilmes, selbst Leiter der Petri-Grundschule. Neu ist der Gastschüler-Status keineswegs, ergänzt Convos-Leiter Heihoff, „wir verfahren wie immer: Wenn jemand vor der Tür steht, kümmern wir uns.“ Eine Steuerung gebe es noch nicht, gleichwohl stünden die Schulen im engen Kontakt mit dem Schulträger. Wieviele Schüler kommen werden, wie lange sie bleiben? „Das ist alles in der Schwebe“, sagt Volker Wilmes, „wir sind gedanklich vorbereitet, aber es ist noch eine rein theoretische Übung.“

Mindestens so unkompliziert funktioniert bereits deutschlandweit die Beförderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Was für die Bahn und große Städte gilt, ermöglicht auch die RLG: Die regionale Busgesellschaft lässt ukrainische Flüchtlinge kostenlos Bus fahren. Familie Köthschneider weiß noch von weiteren Soestern, die Ukrainern Unterkunft bieten wollen. Auch bei der Stadt haben sich Leute gemeldet, die Wohnraum zu Verfügung haben. Und gut 15 Bauernfamilien aus dem Kreis Soest haben sich beim Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband gemeldet und Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen erklärt.

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