Soest – Ein reichhaltiges und ansprechendes Angebot sieht anders aus. Ein paar Krimis im Taschenbuchformat, Uralt-Ratgeber für Traumhochzeiten aus Zeiten, da die Ehe noch als alleiniges Lebensziel einer Frau gepriesen wurde: Aktuell ist der öffentliche Bücherschrank im Theodor-Heuss-Park nur noch eine nicht einmal halbvolle Resterampe.
Doch das hat nachvollziehbare Gründe, und die gibt es als erste Lektüre, bevor man überhaupt noch in eines der wenigen Bücher seine Nase steckt.
Säuberlich laminiert prangt auf beiden Acrylglastüren des Schranks, von denen eine obendrein gerade von Vandalen beschädigt wurde, der Hinweis des Lions Clubs Soest-Hellweg, der sich um den Schrank kümmert und ihn auch bestückt: „Wir haben mit großer Freude gesehen, wie gerne dieses Angebot von Ihnen angenommen wurde. Leider müssen wir in den letzte Wochen feststellen, dass der Schrank immer wieder systematisch geleert wird, sodass jede neuerliche Befüllung sinnlos erscheint, da sie am Sinn und Zweck des Bücherangebots für ALLE eindeutig vorbeigeht. Wir haben uns daher entschlossen, keine weiteren Bücher einzustellen, arbeiten aber an einer befriedigenden Lösung des Problems und hoffen sehr, Ihnen baldigst wieder mit einem wohl gefüllten Schrank Freude bereiten zu können.“
Der Hinweis irritiert auf den ersten Blick. Wer räumt denn einen Bücherschrank aus? Wie will man die verkaufen? Wer zum Beispiel gesehen hat, wie schlecht Bücher sich auf Flohmärkten oder den Büchertischen bei Stadtfesten verkaufen, bekommt da seine Zweifel. Auch Antiquariate winken ab bei Massenliteratur.
Die Lions gehen dennoch davon aus, dass hier jemand ein Geschäftsmodell entwickelt hat. Sylvia Hinrichsen-Röhl von den Lions: „Es gibt Verkaufsportale im Internet, die machen es einem sehr leicht, gebrauchte Bücher zu verkaufen. Da gibt man nur die ISBN-Nummer ein, das Portal sagt Ihnen dann, wie viel Sie dafür bekommen. Das packen Sie dann alles in einen großen Karton, schicken es hin, und dann bekommen Sie Geld dafür.“
Und beim Angebot der Lions erscheint dies durchaus lukrativ. Denn Sylvia Hinrichsen-Röhl nimmt sich neben ihrer eigentlichen beruflichen Tätigkeit noch die Zeit, ehrenamtlich über Facebook zu Buchspenden aufzurufen, die Anbieter sogar abzufahren, dafür kreuz und quer durch die Börde zu brausen, hat letztlich also auch noch Einbußen durch die Spritkosten – nur, damit andere sich das Portemonnaie füllen:
„Wir haben da ein ausgesprochen gutes Netzwerk, bekommen hin und wieder auch Konvolute von den örtlichen Buchhandlungen, und wir bedanken uns bei den Spendern auch mit kleinen Geschenken zum Dank.“
Sie stelle somit ausgesprochen neue und erst kürzlich erschienene, nur einmal gelesene Bücher ins Regal, „die sind in einem erstklassigen Zustand. Die zu verkaufen ist ein Leichtes“, ist sie überzeugt.
„Diese Beschaffung ist mühsam, aber wir haben uns eben auf die Fahne geschrieben, dass wir nicht die abgenagten Titel, die schon hundert Leute in der Hand hatten, haben wollen. Auch ich würde mich bei so einem Schrank nur wiederfinden, wenn ich dort Titel vorfinde, die ich noch in die Hand nehmen möchte. Aber aktuell leert sich der Schrank schneller, als wir ihn überhaupt wieder auffüllen können. Dabei kamen wir zeitweise zwei- bis dreimal die Woche mit mehreren hundert Büchern. Am folgenden Tag waren sie weg.“
Auch Therese Yserentant schaut gelegentlich nach dem Rechten und hat die Erfahrung gemacht: „Dabei gibt es schon eine Qualitätsauswahl.“
Sprich, die Ladenhüter bleiben, aber alles Verkäufliche wird auf einen Schlag entwendet. Denn wozu veraltete Lexika und Ratgeber und vergilbte Angélique- oder Simmel-Schmöker mitnehmen, wenn der Versand teurer kommt als der Erlös?
Die Lions hoffen, dass die Soester nach diesem Artikel etwas sensibilisiert werden und im Park die Augen aufhalten. Allerdings ist eher davon auszugehen, dass der Dieb nachts zuschlägt. Dennoch wollen sie nach Veröffentlichung dieses Artikels den Schrank noch einmal befüllen und schauen, ob sich etwas verändert.
Auch die Installation einer Wildtierkamera sei schon diskutiert worden. Zwischenzeitlich hat Lions-Präsident Andras Liebald bereits die Stadt Soest informiert, die im Park quasi Hausherr ist.
Vorübergehend habe das Problem auch beim Schrank am Schlachthof bestanden. Auch die frühere Telefonzelle ist ein „Kind“ der Lions Soest-Hellweg. Aktuell sei dies dort aber nicht zu beobachten. Aber vielleicht kennt der aktuelle Bücherdieb ihn einfach nur nicht.
Direkt daneben stand bis zum vergangenen Sommer ein Verteiler der Soester Foodsharing-Gruppe. Die Regale voller geretteter Lebensmittel wurden ebenfalls systematisch leergeräumt von Leuten, die sich dort benahmen wie die Axt im Walde, weshalb das Angebot beendet wurde. Somit ist der Bücherschrank schon der zweite aufwändige ehrenamtliche Einsatz für die Allgemeinheit, der durch den Egoismus Einzelner zu enden droht.