Verwaltung sieht Soest „auf Kurs“ auf dem langen Weg zur Klimaneutralität

In zehn Jahren soll Soest eine klimaneutrale Stadt sein – das hat der Rat 2020 beschlossen und der Verwaltung aufgegeben, dazu einen „Masterplan“ zu entwickeln. Inzwischen ist rund ein Viertel des zeitlichen Weges zurückgelegt, für die Verwaltung Anlass zu einem Zwischenbericht. Der wurde am Dienstagabend, 2. Mai, im Umweltausschuss vorgestellt.
Soest – Tim Scharschuch, Leiter der Geschäftsstelle Klimaschutz im Rathaus, und Christoph Hanrott von der Agentur „Energielenker“, die die Stadt bei der Entwicklung und Umsetzung des Masterplans Klimapakt unterstützt, gliederten ihren Bericht in drei Themenfelder: Energieerzeugung, Gebäudesanierung und Wärmeversorgung sowie Mobilität.
Energieerzeugung
Für die Verwaltung sind bei der Erzeugung regenerativer Energien im Stadtgebiet die größten Fortschritte sichtbar. Von den rund 25 000 Haushalten in Soest könnten, wenn zu den zwei bereits genehmigten Windenergieanlagen (WEA) in Müllingsen noch die in der Planung befindlichen vier WEA bei Ampen und Meiningsen hinzukommen, fast 18 000 mit Windstrom versorgt werden.
Auch der Ausbau der Photovoltaik (PV) macht Fortschritte: Eine erste größere Anlage bei Hattrop wird im kommenden Jahr in Betrieb gehen, im Rahmen des 2000-Dächer-Programms sind bis Ende 2022 bereits 456 Anlagen im Stadtgebiet genehmigt worden.
Allerdings hinkt die Entwicklung in diesem Bereich den im Masterplan formulierten Zielen hinterher: Gründe dafür, so Tim Scharschuch, sei nicht mangelndes Interesse von Bürgern und Unternehmen, sondern vor allem Lieferengpässe bei den Modulen und ein Mangel an Fachkräften. Abhilfe bei Letzterem schaffen soll unter anderem eine „Ausbildungsoffensive“, die gemeinsam mit der Kreishandwerkerschaft Hellweg auf den Weg gebracht worden ist.
Gebäudesanierung
Einen unverzichtbaren Beitrag zur Erreichung des Zieles Klimaneutralität müssen die Eigentümer von privaten und gewerblichen Gebäuden im Stadtgebiet leisten – sowohl bei Neubauten, vor allem aber mit energetischen Sanierungen im Bestand. Bislang sind die Fortschritte auf diesem Sektor aber überschaubar – auch wenn die Stadt sich selber „auf einem guten Weg“ sieht bei der Sanierung ihrer eigenen Gebäude.
Nach Einschätzung von Tim Scharschuch setzen zwar bereits erfreulich viele Soester Hausbesitzer auf Wärmepumpen – an genauen Zahlen dazu fehlt es aber, da es für die Anlagen keine Meldepflicht gibt.
Vergleichsweise bescheiden ist dagegen die Bereitschaft vieler Eigentümer, ihre Immobilien umfassend energetisch zu sanieren. Als Grund dafür, dass trotz Beratungsangeboten und finanzieller Fördermöglichkeiten Sanierungen zumindest aufgeschoben werden, sieht Scharschuch vor allem die nach wie vor hohen Kosten.
Mobilität
„Übererfüllt“ sind die Vorgaben des Masterplans bei den Zulassungszahlen von E-Autos – seit 2020 wurden jedes Jahr mehr Stromer angeschafft in Soest als zur Zielerreichung nötig wären. Damit verknüpft ist ein massiver Ausbau der Ladeinfrastruktur im Stadtgebiet und des dafür nötigen Leitungsnetzes.
Maßgeblich daran beteiligt sind die Stadtwerke Soest, für die Geschäftsführer Andre Dreißen vorrechnet, dass bis Jahresende 2023 die Zahl der öffentlich zugänglichen Ladepunkte von 48 auf 92 fast verdoppelt würden und weitere „20 bis 30“ bereits in der Planung seien.
Scharfe Kritik von Grünen
Ganz und gar nicht zufrieden mit dem Zwischenbericht der Verwaltung war Dr. Udo Engelhardt, der dem Umweltausschuss für die Grünen als beratendes Mitglied angehört.
Das geringe Interesse von Hauseigentümern am Gotlandweg an einer energetischen Sanierung ihrer Gebäude sei „ein Paradebeispiel“ dafür, dass in Soest „zu klein gedacht“ werde. Sanierung müsse mindestens in Quartieren oder ganzen Stadtvierteln gedacht werden, nur dann könnten die nötigen Erfolge erzielt werden.
Scharfe Kritik hatte er auch für die Systematik des Berichtes. Dort würden „Prognosen als Ziele“ formuliert. Das aber bringe die Stadt keinen Millimeter voran, tatsächlich seien die Anstrengungen bisher völlig unzureichend, um bis 2030 die Klimaneutralität in Soest zu erreichen.
Soest missachte damit auch einschlägige Rechtsprechungen, erklärte Udo Engelhardt.
Gegenüber unserer Zeitung bewertete Bürgermeister Eckhard Ruthemeyer die Ergebnisse des Zwischenberichtes. „Wir sind auf Kurs“, erklärte er – betonte aber auch, dass der Erfolg des Soester Masterplanes ganz wesentlich von globalen Entwicklungen abhänge und davon, dass Bundes- und Landespolitik „die richtigen Entscheidungen treffen“ würden.
Vor allem müssten dort die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit möglichst viele Bürger E-Autos kaufen und ihre Eigenheime sanieren könnten.
„Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht“, so Eckhard Ruthemeyer. Jetzt sei auch die „gesamte Stadtgesellschaft bei diesem ambitionierten Gemeinschaftsprojekt“ gefragt.

Kommentar von Achim Kienbaum: Beide haben recht, ich aber auch
Wenn zwei sich streiten, kann es sein, dass beide recht haben. Kommt vor, ziemlich oft sogar. Die Bewertung der Fortschritte auf dem Weg zur Klimaneutralität in Soest ist so ein Streit.
Die Verwaltung zeigt sich nämlich zu Recht selbstbewusst, sieht sich sogar als Vorreiter für die große Politik in Berlin und Düsseldorf. Und kann auch auf eine durchaus beeindruckende Liste von bereits realisierten Maßnahmen und Plänen verweisen.
„Nicht annähernd genug“, schallt es dagegen von der anderen Seite – über alle Fraktionsgrenzen hinweg hat sich in der Politik längst die Überzeugung breit gemacht, dass es mit dem bislang vorgelegten Tempo nichts werden kann mit dem Zehn-Jahres-Ziel. Stimmt natürlich auch.
Dabei scheint schon jetzt einem beträchtlichen Teil der Bürgerschaft, und ohne die wird sowieso gar nichts gehen, vieles zu schnell und zu weit zu gehen, was objektiv gesehen zu langsam und zu wenig ist. Aber wenn es an den eigenen Geldbeutel geht und Bequemlichkeiten gefährdet werden – oder nur lieb gewordene Gewohnheiten – dann sucht sich auch der gemeine Soester gerne eine Lücke im Pflaster und steckt den Kopf in den Sand.
Glauben Sie nicht? Sie werden schon sehen, dass ich recht habe. Kommt vor, sogar ziemlich oft.