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30 Jahre BAKS: „Nicht ohne über uns“

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Von: Kathrin Bastert

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Vorstand Behinderten-Arbeitsgemeinschaft Kreis Soest
Der Vorstand der BAKS sieht die Arbeit der Arbeitsgemeinschaft nach 30 Jahren noch längst nicht am Ziel: Beisitzer Wolfgang Schasse, die Vorsitzende Caterina David, Kassierer Benedikt Ungerland, die 2. Vorsitzende Eva Hoffmann, Beisitzerin Brigitte Piepenbreier (von links). © Klaus Bunte

Seit 30 Jahren sind in der „Behinderten-Arbeitsgemeinschaft Kreis Soest“ (BAKS) Vereine und Verbände, Einrichtungen und Interessensgruppen der Behindertenarbeit zusammengeschlossen. Allein die Zahl der Mitgliedsorganisationen – es sind fast 30 – zeigt, wie notwendig es ist, mit einer Stimme zu sprechen. Die erste Stimme gehört Caterina David, Vorsitzende der BAKS. Mit ihr sprach Kathrin Bastert über die Arbeit der letzten und der nächsten 30 Jahre, über Barrieren in Städten und Köpfen und über zwei lange, harte Pandemiejahre.

Frau David, vor einer guten Woche haben wir alle nach München geblickt und uns mit der Soesterin Gina Lückenkemper über zwei Europameistertitel gefreut. Wussten Sie, dass bei dieser EM, die neun Sportarten zusammenbrachte, auch Para-Rudern und Para-Kanu integriert waren? Und dass die deutschen Sportler in diesen Disziplinen drei Medaillen (einmal Silber, zweimal Bronze) geholt haben?

In der Tat, das wusste ich nicht. Ich bin aber allgemein auch nicht sehr sportbegeistert und habe in den letzten Wochen wegen der Vorbereitung zu unserem Familienfest generell sehr wenig Zeit gehabt, Fernsehen zu schauen. In meiner Freizeit lese ich dann doch lieber ein Buch.

Trotzdem möchte ich nachhaken: Was sagt es über das Miteinander von Behinderten und Nichtbehinderten aus, dass die Para-Sportler medial keine Rolle gespielt haben?

Menschen, die sportlichen Höchstleistungen erbringen, werden deswegen bewundert und verehrt. Dies passt aber nicht zu dem Bild, was man sich in der Gesellschaft immer noch über Menschen mit Behinderung macht. Dies hat übrigens auch immer etwas damit zu tun, dass man den Sportler per se als jemand ansieht, der gesund und schön ist, auch dies keine Eigenschaften, die man unbedingt Menschen mit Behinderung zuschreiben würde.

Werfen wir einen Blick zurück, 30 Jahre zurück, um genau zu sein. Wie und warum kam es damals zur Gründung der Behinderten-Arbeitsgemeinschaft für den Kreis Soest (BAKS)?

Die BAKS wurde aus dem Arbeitskreis „Kommunalpolitik und Behinderung“ heraus gegründet. Dabei stand ganz klar die Idee im Vordergrund, dass sich die Selbsthilfe selber in der Kommunalpolitik vertreten soll, gemäß ihrem alten Motto „Nicht ohne über uns“. Die Probleme waren im Grunde genommen die gleichen wie heute – die fehlende Barrierefreiheit, zu wenige rollstuhlgerechte Wohnungen... Dabei hat sich die BAKS immer als eine Organisation verstanden, die die ganz konkreten Probleme vor Ort anpacken wollte. Natürlich haben wir auch immer auf größere gesellschaftliche Probleme, wie z.B. die Gentechnik hingewiesen, aber der Schwerpunkt lag doch immer auf der kommunalen bzw. Kreisebene.

Was sehen Sie als die wichtigsten Inhalte der BAKS in den kommenden 30 Jahren?

In den nächsten 30 Jahren werden gesamtgesellschaftlich zwei große Themen im Vordergrund stehen bzw. stehen müssen: Der Klimawandel und die Digitalisierung. Dabei vermute ich, dass eine Folge des Klimawandels eine Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs sein wird. Dies kann für die Betroffenen, die oft aufgrund ihrer Behinderung auf einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, selbstverständlich von Vorteil sein. Dabei kann ich mir gut vorstellen, dass die Digitalisierung hier große Dienste leisten kann, hier sei nur das Schlagwort „on demand“ genannt. Anderseits muss die BAKS gerade jetzt sehr darauf achten, dass nicht wieder Menschen, wie z.B. blinde oder sehbehinderte Menschen, dabei ausgeschlossen werden. So wird die Forderung nach einem barrierefreien Internet immer wichtiger werden. Die Digitalisierung wird auch in anderen Bereichen immer wichtiger werden. Durch den zunehmenden Fachkräftemangel wird es auch wirtschaftlich immer wichtiger werden, jedes Kind gut auszubilden. Unter diesem Gesichtspunkt muss man nach meiner Ansicht die schulische Inklusion noch einmal ganz neu denken. Dabei ist es selbstverständlich nicht damit getan, dass man ein Kind mit Förderbedarf in die Regelschule „steckt“, sondern Inklusion heißt eigentlich, Schule so zu verändern, dass jedes Kind gemäß seinen Fähigkeiten gefördert wird. Dazu gehört für mich auch ein Nachdenken, ob das dreigliedrige Schulsystem immer noch zeitgemäß ist. Aber natürlich muss sich auch die Arbeitswelt verändern.

Barrierefreiheit ist zumindest bei Stadtplanung, in aller Regel sogar bei allen anderen Bauprojekten, ein Thema. Zumindest auf den ersten Blick hat sich viel getan. Hat das auch geholfen, die Barrieren im Kopf abzubauen?

Die bauliche Barrierefreiheit war natürlich wichtig für die gesellschaftliche Teilhabe der mobilitätseingeschränkten Menschen oder der, die eine Sinnesbehinderung haben, wichtig. Ich glaube, dass ein Mensch, der in einem Rollstuhl sitzt genauso selbstverständlich zum Soester Stadtbild gehört, wie ein Mensch ohne, da sind wir tatsächlich ein gutes Stück weiter gekommen. Aber ich befürchte, dass es bei anderen Behindertenarten noch ganz anders aussieht, z.B. bei Menschen mit einer psychischen Behinderung. Gerade bei diesen Personen ist die viel zitierte „Barriere im Kopf“ schon noch ziemlich hoch.

Wird überhaupt, rein baulich, genug getan? Wo muss dringend nachgebessert werden?

Die Antwort auf diese Frage liegt quasi auf der Hand und wahrscheinlich würde sich ganz Soest wundern, wenn ich hier nicht auf den Marktplatz zu sprechen käme. Aber Spaß beiseite, natürlich ist das Pflaster in der Soester Altstadt alles anders als barrierefrei, wobei ich den Zustand der Marktstraße schon fast als lebensgefährlich bezeichnen würde. Ein anderes Problem sind Arztpraxen, Läden und andere öffentlich genutzte Gebäude, die aber im Privatbesitz sind. Denn bei diesen hat die Politik und damit auch die BAKS wenig direkte Einflussmöglichkeiten. Anders sieht es selbstverständlich bei Gebäuden aus, die der öffentlichen Hand gehören.

Die gleiche Frage zielt auf die Inklusion. Glauben Sie, dass der Umgang miteinander für unsere Kinder selbstverständlicher geworden ist?

Wenn Sie mit Inklusion die schulische Inklusion meinen, glaube ich schon, dass gerade sie für die gegenseitige Akzeptanz ungemein wichtig ist. Für meine Mitschüler war ich z. B. irgendwann einmal nicht mehr das Mädchen, die einen Sprachfehler hatte, sondern einfach nur noch die „Cata“ und ich weiß auch, dass ihr Verhältnis zu Menschen mit Behinderung auch dadurch geprägt wurde, dass ich ihre Mitschülerin war. Auch in der Schulbücherei der Astrid-Lindgren Schule, in der ich jetzt arbeite, ist meine Sprachbehinderung am Anfang natürlich ein Thema, aber nach ein paar Wochen interessiert dies kein Kind mehr. Was ich damit sagen möchte ist, dass Begegnung geradezu die Voraussetzung ist, dass die „Barrieren im Kopf“ abgebaut werden. Damit möchte ich aber nicht sagen, dass hiermit die Inklusion bzw. die Barrierefreiheit erledigt ist. Denn Menschen mit Behinderungen brauchen eben nicht nur gesellschaftliche Anerkennung, sondern eine reale Veränderung ihrer Umwelt.

Bei vielen Nichtbehinderten ruft der Kontakt mit einem Menschen mit Behinderung den Impuls hervor, zu helfen – häufig auch ungefragt. Wie geht man’s richtig an, ohne jemanden zu bedrängen oder gar abzuqualifizieren?

Ganz einfach wie bei anderen Menschen auch, einfach fragen, ob der- oder diejenige Hilfe braucht. Trotz allem bin ich immer noch überzeugt, dass die meisten Menschen hier ein richtiges „Bauchgefühl“ haben.

Corona hat viele Begegnungen unmöglich gemacht, Menschen mussten sich zurückziehen. Wie bewerten Sie die beiden vergangenen Jahre aus Sicht der BAKS?

Dazu habe ich mich schon in meinem Jahresbericht 2020/2021 geäußert: Natürlich durfte sich auch die BAKS aufgrund der Kontaktbeschränkung nicht vor Ort treffen, sondern musste auf Videokonferenzen ausweichen. Auch die Vorteile einer Zoom-Konferenz haben wir schätzen gelernt, bietet sie doch für viele unsere Mitglieder überhaupt erst die Möglichkeit, an einer Sitzung teilzunehmen. Viele unsere Mitglieder gehören zu der Gruppe von Menschen, die ein größeres Risiko haben, schwer an Covid 19 zu erkranken. Aus diesem Grund hatten viele von uns gerade am Anfang der Impfkampagne das Gefühl gehabt, vergessen zu werden. Dies trifft vor allem auf die Gruppe von Menschen zu, die ambulant fast rund um die Uhr von Assistenzkräften betreut werden.
Dies ist im Laufe der Zeit sowohl von Bundesgesundheitsministerium wie auch vom Landesgesundheitsministerium geändert worden, so wurden einige Behinderungen in die ersten beiden Priorisierungsgruppen aufgenommen, außerdem wurde die Möglichkeit geschaffen, sich bei einer seltenen Erkrankung bzw. Behinderung durch ein ärztliches Attest eine erhöhte Dringlichkeit bescheinigen zu lassen. Allgemein hatte ich aber das Gefühl, dass viele Menschen mit Behinderungen manchmal besser mit den gesetzlichen Einschränkungen klar kamen als andere. Vielleicht weil sie gewöhnt sind, mit Einschränkungen zu leben. Dies ist aber eine ganz subjektive Wahrnehmung von mir. Ausdrücklich möchte ich betonen, dass dies nicht für Menschen gilt, die in Behindertenheime wohnen. Eine Bekannte von mir hat immer davon gesprochen, dass es ihr im Heim so vorkomme wie in einer Festung. Dort war es genauso dramatisch wie in den Seniorenheimen, nur dass darüber sehr selten berichtet wurde.

Den runden Geburtstag feierte die BAKS mit einem Familienfest im Rathaus-Innenhof.

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