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Auswirkungen der Corona-Lage bei Schülern - „Depressionen sind ein Riesenthema“

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Schulsozialarbeiterin Lisa Schirmer ist unter anderem Ansprechpartnerin für alle Schüler der Möhnesee-Schule
Schulsozialarbeiterin Lisa Schirmer ist unter anderem Ansprechpartnerin für alle Schüler der Möhnesee-Schule © Gabi Bender

Identitätsschwierigkeiten, Einsamkeit und Depressionen – die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Kinder und Jugendlichen in Möhnesee sind vielfältig. „Depressionen sind ein Riesenthema“, sagt Lisa Schirmer, „es kommen immer wieder Schüler zu mir, die mir erzählen, dass sie traurig sind und regelmäßig zu Hause in ihrem Zimmer sitzen und weinen.“

Möhnesee - Diese Erfahrung hat auch Andreas Riedl gemacht. Der Streetworker, der ebenso wie Lisa Schirmer regelmäßig im Jugendtreff in Körbecke zu finden ist, hat während der Pandemie deutlich mehr Gespräche mit Kindern und Jugendlichen geführt als davor. „Wir hatten viele Einzelgespräche und Einzelbegleitungen, haben viele Spaziergänge gemacht – unter anderem durch den Wildpark in Völlinghausen“, erinnert sich der 29-Jährige. Die Themen waren unterschiedlich. „Ein Jugendlicher, der sich verliebt hat, hat sich beispielsweise an uns gewendet, da er sich nicht so wie sonst mit seinen Freunden austauschen konnte.“

Andreas Riedl spricht in diesem Zusammenhang von einem Entwicklungsstau. „Die Kinder und Jugendlichen brauchen vor allem die Gleichaltrigen, die sogenannten peer groups, um sich entwickeln und Erfahrung mit Gleichaltrigen sammeln zu können. Aber das wurde während der Pandemie vielfach unterbunden – durch Kontaktsperren und das zwischenzeitliche Schließen der Schule.

Auch der Jugendtreff musste über ein halbes Jahr schließen. „Von November 2020 bis Sommer 2021 durften wir nicht öffnen und waren daher noch mehr als sonst auf den Straßen unterwegs, um nach dem Nachwuchs zu sehen und ihm in dieser außergewöhnlichen Zeit als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen“, sagt der Streetworker.

Lisa Schirmer: Schulsozialarbeiterin steht für Fragen und Nöte bereit

Lisa Schirmer, die den Jugendlichen vormittags an der Sekundarschule in Körbecke als Schulsozialarbeiterin für Fragen und Nöte aller Art zur Verfügung steht, hat die Erfahrung gemacht, dass Gewalt im Laufe der vergangenen zwei Jahre nicht nur zugenommen hat, sondern dass sich zum Teil eine Gewöhnung eingestellt habe und diese in einigen Fälle dazu geführt habe, dass psychische und körperliche Gewalt von den Betroffenen eher akzeptiert werden.

„Ein Schüler kam vor Corona beispielsweise regelmäßig zu mir, weil er zu Hause angebrüllt und auch geschlagen worden war“, erzählt Lisa Schirmer, die daraufhin mit den Eltern ins Gespräch gekommen war. Die Situation habe sich nach dem Gespräch gut entwickelt, aber dann kamen Corona und die Schulschließungen. „Als ich mich nach der Öffnung der Möhnesee-Schule wieder mit dem Schüler ausgetauscht habe, sagte er, dass er jetzt ‘nur noch’ alle zwei Monate angebrüllt werde und das könne er aushalten – schließlich habe er das im Lockdown auch ausgehalten.“

Viele Kinder, die regelmäßig Gewalt erfahren, seien leider während des Lockdowns toleranter gegenüber Gewalt geworden. „Früher hat schon wenig Gewalt ausgereicht, damit sich Kinder und Jugendliche Hilfe holen“, resümiert Lisa Schirmer, „heute sind sie schon zufrieden, wenn die Gewalt etwas abgenommen hat.“ Daher sehe sie es als wichtige Aufgabe an, dass Bezugspersonen wie Lehrer und Integrationskräfte, die direkt mit den Schülern zu tun haben, noch sensibler sind und genau hinschauen.

Folgen der Pandemie: Die Digitalisierung hat an Fahrt aufgenommen

„Corona hat allerdings auch etwas Positives mit sich gebracht“, resümiert Lisa Schirmer und verweist auf die erhöhte Geschwindigkeit bei der Digitalisierung, die eine indirekte Folge der Pandemie sei. Die Ansprüche an die Lehrer sind damit gestiegen, denn sie müssen sich auch im digitalen Bereich zurechtfinden. „Früher haben hauptsächlich die Lehrer den Input für den Unterricht geliefert, mittlerweile sind Google und andere Suchmaschinen wichtige Auskunftsquellen für die Schüler.“ Aber das sind nicht die einzigen Veränderungen. „Ihre Rolle hat sich während der Corona-Zeit gewandelt. Manche Lehrer müssen Mama- oder Papa-Ersatz sein und am besten auch noch Sozialarbeiter, der Kindeswohlgefährdung beim ersten Anzeichen sofort erkennt“, so die 33-Jährige.

Dankbar ist Lisa Schirmer, dass die Zusammenarbeit mit den Lehrern und auch mit der Schulleitung an der Sekundarschule so gut funktioniere. Die 33-Jährige arbeitet mittlerweile seit 2013 als Schulsozialarbeiterin. „Ich bin froh, dass ich hier so ein gutes Standing habe und die die Kinder und Jugendlichen mit allem auf mich zukommen können.“ Während der Pandemie gab es neben den bekannten Herausforderungen auch noch viele neue Schwierigkeiten wie die fehlenden Kontakte mit Gleichaltrigen, die zum Teil beengten Wohnverhältnisse, fehlende Freizeitaktivitäten, die oft spürbare Belastung der Eltern, die zum Teil im Home-Office waren, sowie die Angst vor einer Infektion beziehungsweise Ansteckungen und deren Konsequenzen.

„Bei den jungen Menschen, die eine Tendenz zu psychischen Erkrankungen haben, haben diese Herausforderungen zusätzlich zu der Vereinsamung und dem Entwicklungsstau häufig dazu geführt, dass die psychischen Probleme stärker zum Tragen gekommen sind als bei anderen“, berichtet Andreas Riedl. Für ihn ist es daher wichtig, für die Kinder und Jugendlichen da zu sein und ihnen attraktive Gesprächs- und auch Freizeitangebote zu machen, um sie vor einer Vereinsamung zu bewahren.

„Viele von ihnen fühlen sich von der großen Politik auch nicht wahrgenommen beziehungsweise nur in die Rolle ‘Schüler’ gedrängt“, erklärt der Streetworker. Den Politikern gehe es ihrer Meinung nach nur darum, die Schulen offen zu halten, aber die eigentlichen Bedürfnisse dieser Altersklasse werden ignoriert.

Allerdings nicht für Lisa Schirmer und Andreas Riedl. „Es gab viele Aktionen“, erinnert sich die 33-Jährige. „Wir sind mit den Kindern und Jugendlichen in den Europapark gefahren, haben Stromkästen mit einem Dortmunder Künstler verschönert, waren mit dem Liz im Wald und in den Bächen unterwegs, haben Aktionen draußen und auch wieder eine Kinderbetreuung in den Sommerferien angeboten.“ Für 2022 laufen die Planungen bereits, denn auch in diesem Jahr wollen die beiden einiges auf die Beine stellen.

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