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Nach Zeit in Stockum: Junge Ukrainerinnen wollen zurück in die Heimat

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Von: Thomas Brüggestraße

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Abschied von der Apfelplantage: Christoph Abel mit Olha, Anna und Valerija.
Abschied von der Apfelplantage: Christoph Abel mit Olha, Anna und Valerija. © THOMAS BRUEGGESTRASSE

Junge Frauen aus der Ukraine fanden Sicherheit in Stockum, aber das Heimweh ist stärker als die Angst vor dem Krieg.

Stockum – Schutt und Asche in der Heimat statt Erfolg und Glamour, und alles wegen Putin und einen Krieg, den am wenigsten die verstehen, die am meisten drunter zu leiden haben. Anna (25), Olha (26) und Valerija (25) sind verwandt und schon seit der gemeinsamen Schulzeit in Charkiw im Osten der Ukraine auch beste Freundinnen. Sie flüchteten vor dem Krieg nach Stockum, jetzt aber wollen sie zurück.

Sie hatten sich alle drei ihr Leben anders erträumt. Anna und Olha wollten über das Internet Mode verkaufen, Trends setzen, schicke Bilder für Instagram machen. Valerija wollte ihren Kunden Tattoos stechen, die Augenbrauen färben und auch mit Tinte flächig verschönern – ein absoluter Schönheitstrend bei den jungen Leuten in der Ukraine, und natürlich landen auch ihre Bilder regelmäßig auf Instagram. „Wir haben uns unsere kleinen Unternehmen aufgebaut und wollten erfolgreich durchstarten“, erzählen die drei jungen Frauen. „Dann kam der Krieg, hat alles verändert, hat uns getrennt. Wir können nicht glauben, dass das alles wirklich passiert.“

Olha und Anna (von links) posieren vor einem Spiegel für ein Selfie. Mit Bildern wie diesen bespielen sie ihren Online-Shop für Mode.
Olha und Anna (von links) posieren vor einem Spiegel für ein Selfie. Mit Bildern wie diesen bespielen sie ihren Online-Shop für Mode.  © Privat

In Deutschland fanden die Freundinnen wieder zusammen, schließlich sogar privat Unterkunft auf Loers Hof in Stockum und Arbeit bei Christoph Abel: „Obst haben wir gepflückt. Äpfel, Birnen, Blaubeeren“, erzählt Valerija mit sympathisch breitem Akzent. „Und Cheidelbeeren.“ Das angehauchte deutsche H, man kennt es nicht in der Ukraine. Aber sie kann es sprechen, wenn sie nicht daran denkt. Sie spricht mehr Deutsch als Anna und Olha, den Rest erledigt für alle ein Programm auf dem Smartphone: Reinsprechen und abwarten, was die Computerstimme sagen wird. Es passt fast immer – so kann man sich behelfen. Englisch hilft auch, und das sprechen die Ukrainerinnen flüssiger als manch Deutscher. Deutsch lernen? Nein, wozu? Sie hätten doch so viele Sorgen gehabt, und eigentlich wollten sie alle doch nur eines: wieder nach Hause. Am 7. Oktober soll es losgehen.

Warum sie freiwillig wieder zurückkehren wollen ins umkämpfte Land, wo doch die Bilder hier im Fernsehen so grausam und düster seien? „Es ist unsere Heimat, und wir lieben sie so sehr. Die Familien sind da, und Charkiw, das ist jetzt auch wieder sicheres Gebiet.“ Die drei sind sich da einig. „Und es wird schon wieder aufgeräumt“, erzählt Anna: „Heute macht eine Bombe eine Straße kaputt, morgen ist das alles wieder heile.“

Flucht- und Lebenswege

Valerija hat im Februar mit ihrer Familie 10 Tage im Keller ausgeharrt, bis ihr Vater seine Frau Olga, Valerija und Bruder Dima (15) zur Flucht drängte. Die 19-jährige Nadja ging mit. Nach sechs Tagen kamen sie in Olexandrija an. Über Ungarn reisten sie nach Wien.

Olga und Anna waren für eine Woche in Ägypten im Urlaub, als die Russen die Ukraine überfielen. Sie konnten nicht mehr zurück. Dann konnten sie nach Budapest fliegen. Von Budapest wurden sie nach Wien geleitet. In Wien trafen sie ihre Verwandten wieder: Valerija, ihren Bruder Dima und Olga, Dimas Mutter, und Nadja.

Valerijas Vater hatte Kontakt zu einem Schulkameraden in Deutschland. Dort wollte die Gruppe unterkommen und Hilfe finden. Von Wien aus ging es für die Schicksalsgemeinschaft in die Gemeinde Weeze in Nordrhein-Westfalen, in eine zentrale Unterbringungs-Einrichtung. Die Ausländerbehörde fand zwei Familien in Geseke. Hund Ole brach schnell das Eis: Alle, auch die Gastfamilien, hätten Herzklopfen gehabt, wie man mit völlig fremden Menschen zurechtkommt, ob man sich verstehen werde.

Durch verwandtschaftliche Beziehungen einer Gastfamilie kam der Kontakt zum Loershof zustande. Anna, Olha und Valerija kamen hier unter. Nadja ist schon im Mai in die Ukraine zurückgekehrt, weil das Heimweh so groß war. Olga und Dima blieben in Geseke, wo Dima auch zur Schule geht.

Valerija freut sich auf ein Wiedersehen mit Freund Valentin, der in Poltawa lebt. Ihre Mutter ist auf der Krim, Vater und Großmutter sind nach wie vor in Charkiw.

Anna will ihren Freund Petro (25) heiraten, wenn er Urlaub vom Militär bekommt. Bislang sei ihr Petro nicht verwundet worden, hoffentlich bleibe das auch so. Und sie möchte ihre Eltern, ihren Bruder und die kranke Großmutter wieder sehen: Oma habe nicht fortgewollt. Es seien gerade die Großmütter, die die Heimat nicht verlassen wollten, die ausharrten.

Olha will wieder zu ihren Eltern nach Olexandrija. Und alle wollen endlich ihr ganz normales Leben wieder zurück, Mode anbieten, Tattoos stechen, Augenbrauen verschönern – und Bilder auf Instagram hochladen.

Was sie mitnehmen aus Deutschland? Ein dankbares Gefühl, dass es Unterstützung gibt. Sie hätten nur nette Deutsche kennengelernt in Möhnesee und auf ihren Ausflügen durch die Region. Ehrlich. „Alles gut“, sagt Valerija. „Wir sind glücklich.“ Nur mit den Zügen, das sei nicht so gut: „Kein Verlass drauf.“

Noch mal auf die Obstplantage? Och nö, das nicht. Also gibt es ein Foto vor Abels Hofladen. Mit Christoph Abel, und mit einer großen Kiste voller Äpfel. Und ein „Familienbild“ mit Bernard Loer und Petra Schwingenheuer, die die Freundinnen aufgenommen hatten. „Wir haben gerne geholfen, wir wünschen ihnen und ihren Familien das Allerbeste. Wir freuen uns, wenn der Kontakt nicht abreißt“, sagen beide. Hund Henry kommt auch mit aufs Bild. Der Weimeraner ist total verschmust, und er wird sie vermissen, seine Zweibeiner aus der Ukraine, die so gerne mit ihm knuddeln. Ob sie wieder herkommen wollen? „Gerne. Aber nur als Touristen“, so sehen es die drei Freundinnen: „Danke und Slawa Ukraini – Ruhm der Ukraine. Hoffentlich ist der Krieg bald vorbei und auch in der Ukraine wieder ein normales Leben möglich.“

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