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Seniorin wurde nach telefonischer Begutachtung die Pflegestufe gestrichen

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Von: Ludger Tenberge

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Ohne Rollator (Symbolbild) geht für die Seniorin aus Möhnesee auch innerhalb des Hauses nichts mehr.
Ohne Rollator (Symbolbild) geht für die Seniorin aus Möhnesee auch innerhalb des Hauses nichts mehr. © Peter Dahm

Auch im Alter oder mit gesundheitlichen Einschränkungen möglichst in den eigenen vier Wänden leben zu können, für viele Menschen ist das von großer Bedeutung. Und Dank der Unterstützung durch die Pflegekassen ist dies häufig auch umsetzbar – wenn denn der erforderliche Bedarf an Unterstützung anerkannt wird. Denn daran hapert es bisweilen, wie der Fall einer Seniorin aus einem kleineren Ortsteil Möhnesees zeigt. Ihr Antrag auf Höherstufung von Pflegestufe eins auf Pflegestufe zwei wurde der alleinstehenden Frau nach telefonischer Befragung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen nicht nur nicht gewährt. Der Frau wurde stattdessen sogar Pflegestufe eins gestrichen. Wohlgemerkt: Aufgrund einer Begutachtung per Telefon.

Möhnesee – Die Rentnerin ist ständig auf ihren Rollator angewiesen, längeres Stehen ist ihr nicht mehr möglich, die Versorgung ihres Haushalts ist deshalb nur in geringem Maße umsetzbar. Wenn sie am Herd kochen will, muss sie auf dem Rollator sitzen, berichtet die Rentnerin. Deshalb könne sie nur noch die beiden vorderen Kochplatten nutzen. Zur Unterstützung kommen ansonsten gelegentlich der Sohn oder die Schwiegertochter oder der Enkel, aber alle drei wohnen weit entfernt.

Für das Anlegen der Thrombosestrümpfe kommt täglich eine Pflegekraft, denn diese Maßnahme wird per Rezept verordnet und von der Krankenkasse übernommen. Als Unterstützung im Haushalt stand der Seniorin ansonsten gemäß Pflegestufe eins zunächst ein Betrag von 125 Euro pro Monat als Entlastungsleistung zur Verfügung. Damit kann die Frau die Putzdienste eines Unternehmens in Anspruch nehmen, das mit der Pflegekasse abrechnen darf. Da die Rentnerin wegen ihrer körperlichen Einschränkungen Arbeiten im Haus wie das Putzen in größerem Maßstab selbst nicht ausführen kann, hoffte sie auf Einstufung in Pflegestufe zwei.

Nachdem ihr jedoch sogar Pflegestufe eins aberkannt worden war, stellte die Rentnerin umgehend einen neuen Antrag auf Pflegeleistungen. Denn im Gegensatz zu einem langwierigen Widerspruchsverfahren gegen die Aberkennung der Pflegestufe eins müssen die Krankenkassen auf einen Antrag zeitnah reagieren.

Für die erneute Einschätzung der Pflegebedürftigkeit hat eine Mitarbeiterin des Medizinischen Dienstes die Frau inzwischen auch begutachtet, dieses Mal tatsächlich nach einem Besuch vor Ort. Ergebnis: Die Rentnerin ist wieder in Pflegestufe eins eingeordnet worden. Wobei sich die durch den Medizinischen Dienst angekreuzten Aussagen auf dem Bewertungsbogen teils widersprechen. Einerseits heißt es zum Beispiel, die Frau könne nicht selbstständig an kulturellen, religiösen oder sportlichen Veranstaltungen teilnehmen.

Andererseits ist angekreuzt, sie könne selbstständig an „sonstigen Aktivitäten mit anderen Menschen“ teilnehmen. Dazu müsste die Frau, die allein in einem abseits gelegenen Haus in einem Möhneseer Ortsteil lebt, allerdings mit dem eigenen Auto fahren, was wiederum wegen ihres Gesundheitszustandes schlechterdings nicht möglich ist. Aber die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist ihr selbstständig nicht möglich, bestätigt wiederum das Gutachten des Medizinischen Dienstes.

Trotz dieser Ungereimtheiten in dem Gutachten, zögert die Seniorin allerdings, erneut einen Antrag auf eine höhere Pflegestufe zu stellen. Ein Unding, findet eine Bekannte, die sich gelegentlich um die alleinstehende Senioren kümmert. Das, was ihr eigentlich zusteht, bleibe der Seniorin auf diese Weise verwehrt.

Wie die Selbstständigkeit der Patienten geprüft wird

Wie die Unabhängige Patientenberatung Deutschland auf ihrer Internetseite erläutert, prüft der Medizinische Dienst (MD) bei den Pflegebedürftigen zu Hause, wie selbständig Patienten ihr Leben gestalten können in den sechs Lebensbereichen Mobilität, Kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Bewältigung und selbstständiger Umgang von krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen, Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte. Bei der Begutachtung komme es weniger auf die konkrete Erkrankung an, sondern darauf, wie sehr Patienten dadurch in ihrer Selbstständigkeit beeinträchtigt sind. Die Patientenberatung empfiehlt, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sich auf die Pflegebegutachtung vorbereiten, indem sie aufschreiben, wie ein typischer Monatsablauf aussieht und wo sie Hilfe brauchen. Die Begutachtung sollte in einer realistischen Alltagssituation stattfinden. Pflegebedürftige sollten sich also nicht extra „fein“ machen oder aufräumen. Wie der Medizinische Dienst der Krankenkassen auf der Internetseite www.medizinischerdienst.de erläutert, kommen die speziell ausgebildeten Pflegefachkräfte oder Ärzte des Medizinischen Dienstes für die Begutachtung zu den Patienten nach Hause. Bei diesem Hausbesuch stelle der Gutachter fest, wie selbstständig ein Patient den Alltag gestalten kann. Eine Begutachtung per Telefon ist demnach nicht vorgesehen. Während der Corona-Pandemie kann der Gutachter anstelle des Besuchs telefonisch feststellen, wie hoch der Pflegebedarf ist.

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