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So sieht die Flüchtlingssituation aus

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Von: Karin Hillebrand

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Digitale Medien helfen beim erlernen der Sprache. Die App „Ankommen“ des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vermittelt Wissenswertes darüber hinaus. © Karin Hillebrand

Sozialamtsleiter gibt Überblick / Einrichtung einer Internationalen Klasse an Lippetalschule

Herzfeld – Mit steigenden Flüchtlingszahlen summieren sich menschliche Einzelschicksale zu einer Herausforderung für die Kommunen. Einen Überblick über die derzeitige Situation der Geflüchteten in Lippetal gab Ordnungs- und Sozialamtsleiter Ludger Schenkel.

30 Wohnungen und Häuser gebe es derzeit, in denen die Gemeinde Geflüchtete unterbringen kann. Zurzeit leben darin 270 Personen, 90 aus der Ukraine, 180 aus anderen Ländern (siehe Infokasten). Weitere 57 seien in Privatwohnungen untergebracht, 327 also insgesamt, die in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinde fallen.

„Die Unterbringungssituation wird immer enger“, fasst Schenkel in der Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familien, Senioren, Soziales, Kultur und Sport Anfang März zusammen. Man sei in Gesprächen, habe sechs Wohnungen und drei Häuser in Aussicht, die in absehbarer Zeit angemietet werden können, sodass in den nächsten Wochen keine öffentlichen Räume genutzt werden müssten.

Internationale Klasse

Unter den Geflüchteten sind 111 Kinder: 13 bis zwei Jahre, 29 bis sechs Jahre, 29 bis 11 Jahre und 40 bis 17 Jahre. Für die Lippetalschule gebe es jetzt eine Auffang- und Integrationsklasse, in der die Kinder Deutsch lernen, bevor es in den regulären Schulbetrieb geht.„Die Internationale Klasse ist vor sechs Wochen mit sechs Schülern gestartet“, bestätigt Schulleiter Volker Wendland auf Nachfrage.

Jetzt seien es bereits 19 Kinder und Jugendliche, die hier über alle Altersstufen hinweg Deutsch als zweite Sprache lernen. Bei entsprechenden Deutschkenntnissen wechseln sie dann in das Regelschulsystem, spätestens nach zwei Jahren. Neben Deutsch zählen aber auch Mathematik, Sport und Kunst zu den Fächern, zudem wird über den Klassenrat soziales Lernen gefördert. Außerdem wird das Selbstkonzept, so wie in anderen Klassen entwickelt, so Wendland.

Nötig wurde dies, da die Klassen ohnehin ausgelastet sind – mit 29 Kindern ist die Höchstgrenze pro Klasse erreicht – und die Gemeinde darauf verwiesen hatte, dass mit mehr Kindern zu rechnen sei. In Absprache mit der Bezirksregierung Arnsberg und dem Integrationsamt konnten für die Internationale Klasse zwei Lehrstellen geschaffen werden, fünf Lehrkräfte arbeiten in der Klasse.

Insgesamt werden an der Lippetalschule aktuell 42 Kinder beschult, 23 davon besuchen Regelklassen. Sie bekommen zwölf Stunden pro Woche Deutschunterricht entsprechend ihres Sprachniveaus. „Das ist auch eigentlich unser Bestreben, damit die Kinder mit Gleichaltrigen beschult werden und von Beginn an die Klassengemeinschaft erleben“, erklärt Wendland.

Da dies häufig nachgefragt werde, ging Schenkel in der Ausschusssitzung genauer auf die Situation der Geflüchteten aus der Ukraine ein. 142 haben derzeit ihren Wohnsitz in der Gemeinde, 90 in kommunalen, 52 in privaten Unterkünften. „Die familiäre Unterbringung scheitert in der Regel. Es menschelt“, sagt Schenkel. Wenn das passiere, habe die Gemeinde bislang mit einer gemeindlichen Unterbringung helfen können. Weitere 60 Ukrainer seien vorübergehend da gewesen, dann aber weiter gezogen oder zurück in die Heimat gegangen.

Gemeinde in Aufnahmepflicht

„Die Gemeinde bleibt kontinuierlich in der Aufnahmepflicht“, erklärte Schenkel für die Zukunft. In 2022 nahm Lippetal 181 Ukrainer und 109 Geflüchtete aus anderen Ländern auf. Insgesamt also 290, die zugewiesen wurden oder ohne Ankündigung vor der Tür standen. Das sind fast sechs Personen pro Woche.

In den ersten beiden Monaten des laufenden Jahres kamen bereits 21 Ukrainer und 32 andere: also 5,3 pro Woche. „Vielleicht bleibt es bei diesen fünf bis sechs Personen pro Woche. Wir wissen aber nicht, was auf uns zukommt“, erklärte Schenkel weiter. Die Bundesregierung habe eine erleichterte Visavergabe für die vom Erdbeben Betroffenen aus Syrien und der Türkei zugesagt, und die Kriegshandlungen in der Ukraine halten an. Seitens des Bundes und der Länder rechne man mit mehr Zuweisungen.

Verteilung nach Quoten

Diese erfolgt nach festgelegten Soll-Quoten, die nach Einwohnerzahlen (hauptsächlich) und dem Flächenanteil der Gemeinden errechnet werden. Zum einen greift hierbei die Wohnsitzzuweisung nach dem Aufenthaltsgesetz (Paragraf 12a), für anerkannte Flüchtlinge, die ein dauerhaftes Bleiberecht haben. Die liegt laut Schenkel derzeit bei 0,1262: Kommen 100 000 Personen nach NRW, muss Lippetal 126 aufnehmen. Diese sei zu fast 60 Prozent erfüllt, 120 weitere Personen müsste die Gemeinde bei einer Zuweisung aufnehmen.

Zum anderen werden Menschen, die sich noch im Asylantragsverfahren befinden, nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG) zugeteilt: Kommen 100 000 nach NRW, dann kommen 83 davon nach Lippetal, kommen 1 000 000 in die BRD, dann kommen 183 davon nach Lippetal, so Schenkel. Diese Quote sei zu 94,09 Prozent ausgeschöpft, 13 Personen müsste die Gemeinde noch aufnehmen. Allerdings seien auch diese Qutoen nicht in Stein gemeißelt.

97 Personen erhalten aktuell Leistungen nach dem Asybewerberleistungsgesetz von der Gemeinde. Ein Flüchtling kostet inklusive Verwaltungskosten  1 100 Euro im Monat, das habe man vor fünf Jahren nachhalten müssen. 875 Euro erstattet das Land für Geflüchtete, die im Verfahren sind. Für die, die ausreisepflichtig sind, gibt es eine Einmalzahlung von 12 000 Euro.

„Im letzten Jahr haben wir vom Bund 270 00 Euro Integrationsmittel bekommen. Für dieses Jahr haben Bund und Länder den Kommunen noch einmal 2,75 Milliarden zugesagt. Wie sie verteilt werden,wissen wir noch nicht. Wir hoffen auf einen ähnlichen Betrag, wie im vergangenen Jahr“, sagt Schenkel. Was der Sozialamtsleiter noch nicht wusste: Mitte März legte die Landesregierung zusätzliche 390 Millionen Euro für die Unterbringung Geflüchteter aus einem Sondervermögen auf, davon gehen rund 7,6 Millionen Euro in den Kreis Soest. Auf Lippetal entfallen 338 814,57 Euro.

Menschen aus 25 Nationen

327 Geflüchtete leben in Lippetal, sie kommen aus folgenden Ländern: Ukraine 142, Syrien 61, Afghanistan 41, Irak 13, Eritrea 7, Aserbaidschan 7, Türkei 7, Mazedonien 7, Libanon 7, Armenien 5, Angola 4, Nigeria 3, Indien 3, Tadschikistan 3, Pakistan 3, Iran 2, Bangladesch 2, Algerien 2, Guinea 2, Georgien 1, Russische Föderation 1, Marokko 1, Somilia 1, Israel 1, Kosovo 1. Einige der Sprachen werden von Mitarbeitern der Gemeinde abgedeckt, anderes läuft über Sprach-Apps.

Wie viele der Geflüchteten einen Deutschkurs besuchten, weiß die Gemeindeverwaltung nicht: Wer zum Job-Center wechsele, könne einen Integrationskurs besuchen, Anbieter für Deutschkurse gebe es im Umkreis viele, sie seien über eine Internet-Plattform zu finden, sagt Ludger Schenkel. Manchen Personengruppen falle das schwer, insbesondere, wenn kleinere Kinder mit im Spiel sind.

Die Gemeinde kann aufgrund fehlender Räumlichkeiten, beziehungsweise der amtlichen Vorgaben dafür, keinen eigenen Integrationskurse anbieten. Insgesamt hat Schenkel das Gefühl, dass die Menschen heute viel schneller einen solchen Kurs besuchen können als früher.

Die Gemeinde finanziert Kurse, die in Kooperation mit der Volkshochschule angeboten werden: Einen Deutschkurs für Ukrainer im Löttenkamp, einen Deutschkurs für Geflüchtete im Bereich der Lippetalschule und einen Sonderkurs der VHS für Kinder an der Lippetalschule, die hierfür zu bestimmten Schulstunden aus dem eigentlichen Unterricht heraus genommen werden. Zudem habe eine Frau Hilfe angeboten, die 2015 aus Syrien kam. Mit ihr will die Gemeinde einen Kurs für arabischstämmige Frauen anbieten.

Sozialarbeiterinnen geben Einblick

Sozialarbeiterin Amela Zenkovic ist Fallmanagerin, führt Erstgespräche, plant mit den Menschen, wie es weiter geht und spricht mit Behörden, dem Jugendamt und freien Trägern. Gibt es Probleme im Integrationsprozess, gibt sie einen Fall an den Kreis Soest ab. Ihre Kollegin Tanja Dag hilft Geflüchteten, in den Alltag zu finden, ist häufig in Kontakt mit Russen und Ukrainer, da sie die Sprache spricht, betreut auch Syrer. Sie erklärt, wo man eine Bankkarte bekommt und an wen man sich für unterschiedliche Dinge wenden muss, macht auch Hausbesuche. Beide sind in engem Austausch miteinander, vertreten sich auch.

In Kooperation mit der evangelischen Gemeinde wird neuerdings ein Frauenfrühstück ausgerichtet, bei dem auch Dolmetscher vor Ort sind, sodass gezielte Fragen gestellt werden können. Außerdem bietet Tatjana Bobb von der Caritas montagvormittags im Rathaus Unterstützung im Behördendschungel an. Hilfesuchende würden von anderen Behörden oftmals alleine stehen gelassen, so Schenkel. Außerdem habe der Arbeitskreis sehr früh damit begonnen, Familien zu unterstützen.

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