Nordwald – Während andere Leute in ihrer Tiefkühlung Lebensmittel aufbewahren, befinden sich in der von Familie Kapischke neuerdings tiefgefrorene Mäuse und Eintagsküken. Die Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz (ABU) im Kreis Soest hat ihnen diese vorbeigebracht.
Fast jeder in Lippetal kennt mittlerweile den Weißstorch, der hier seit Jahren die warmen Monate des Jahres verbringt. Doch einen Schwarzstorch haben wohl eher weniger Menschen in freier Wildbahn zu Gesicht bekommen. Kein Wunder, da diese scheue Storchenart normalerweise sehr zurückgezogen in Waldgebieten lebt. Warum jetzt ein solcher Vertreter mitten in der Wohnsiedlung in Lippetal-Nordwald aufgetaucht ist, wird wahrscheinlich ein Rätsel bleiben.
„Wir können nur spekulieren“, sagt Dr. Dieter Hegemann von der ABU auf die Frage, warum der Storch die menschliche Nähe sucht. Dr. Henning Vierhaus, ebenfalls Mitglied der ABU, kann sich verschiedene Gründe vorstellen. Da das Tier keine Scheu vor Menschen hat, wäre es laut ihm theoretisch vorstellbar, dass es aus einer Haltung entflogen ist. Dagegen spricht allerdings die Tatsache, dass kein Ring am Bein angebracht wurde. Ebenfalls denkbar wäre, dass der Storch die Vorteile des Lebens in unmittelbarer Nähe zum Menschen und die damit verbundene Versorgung kennen und schätzen gelernt hat und sich deshalb in der Siedlung aufhält. Als dritte Möglichkeit führt Vierhaus an, dass es bei Störchen durchaus vorkommt, dass sich ein einzelnes Tier in das Brutrevier eines Paares verirrt und von diesem vertrieben wird. Im Arnsberger Wald gibt es ein bestätigtes Brutvorkommen und auch einige Wälder nördlich der Lippe bieten optimale Bedingungen, sodass dort ein Paar brüten könnte, dem der in Lippetal gesichtete Schwarzstorch ausgewichen ist. Sowohl Hegemann als auch Vierhaus betonten, dass der der Färbung des Gefieders nach ausgewachsene Altvogel, abgesehen von dem eher untypischen Verhalten, einen vielleicht etwas mageren, aber grundsätzlich gesunden Eindruck mache und man ihn weiter beobachten müsse.
Diese Meinung teilt auch Joachim Neumann, Tierschützer aus Leiferde und Mitglied des Naturschutzbundes (Nabu) Niedersachsen, der Erfahrung in der Pflege und Aufzucht von Schwarzstörchen hat.
Bisherige Einfangversuche, sowohl von der Pfotenhilfe Lippstadt als auch von Mitarbeitern der Tierarztpraxis an der Rosenau, sind bisher gescheitert. Um den Helfern zu entkommen, war der Storch, der es scheinbar vorzieht, sich zu Fuß fortzubewegen, sogar ein wenig geflogen. So wurde beschlossen, dass er weiter beobachtet und aufgepäppelt werden soll.
Hier kommt Familie Kapischke ins Spiel. Da sie mit der ABU Kontakt aufgenommen hatte, wurde sie zu deren Hauptansprechpartner und somit auch zum Storchenfutterbeauftragten, sodass sie den Schwarzstorch, den sie „Alfy“ getauft haben, mit Mäusen und Eintagsküken füttern, die in einer weißen Plastiktüte in einer Ecke ihrer Tiefkühltruhe liegen. Die Storchensitter von Nordwald ziehen nun mehrmals täglich mit einer Schale Wasser und dem aufgetauten Futter los, um zu schauen, wo „Alfy“ anzutreffen ist. Dann wird der Wassertopf in seiner Nähe aufgestellt und das Futter aus einiger Entfernung in seine Richtung geworfen. Wenn er sich nähert, stellen die Helfer den Abstand wieder her, da sie die Zutraulichkeit des Tieres nicht noch fördern möchten.
„Alfy“ ist in Nordwald schon eine kleine Berühmtheit. Wo er sich aufhält, trifft man häufig Leute, die sich die Gelegenheit, einen Schwarzstorch aus der Nähe zu betrachten, nicht entgehen lassen. Dagegen gibt es nichts einzuwenden, solange einige Handlungsempfehlungen berücksichtigt werden. Bei dem zutraulichen Schwarzstorch handelt es sich um ein Wildtier, sodass ein gewisser Abstand zu ihm gewahrt werden sollte. Auch wäre es nicht sinnvoll, wenn ihn jeder füttert. Und ganz wichtig wäre es, dass Autofahrer in Nordwald vorsichtig unterwegs sind, da „Alfy“ ein sehr entspannter Zeitgenosse ist und daher gerne mal mitten auf der Straße steht und schläft.
von Josy Tusch