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Schuhmachermeister Erwin Beile blieb stets bei seinen Leisten

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Von: Klaus Bunte

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Erwin Beile in den Neunzigerjahren mit den Schlagersängerinnen Anita (links) und Alexandra Hofmann, für die er über Jahre hinweg passende Schuhe zu ihren Kostümen herstellte.
Erwin Beile im Jahr 2022 mit seinem fast 50 Jahre alten Meisterstück: einem Paar Schuhe mit Leisten, das bis heute wie neu wirkt. © Bunte, Klaus

Sie sehen aus wie frisch aus dem Laden. Klar, auf Hochglanz polieren kann man auch alte Schuhe noch. Aber nicht eine einzige Runzel weist das Obermaterial auf – was bei jedem anderen Schuh normalerweise nach wenigen Wochen schon auftritt. Dabei sind diese beiden hier fast 50 Jahre alt. Mit diesem Meisterstück legte Erwin Beile einst seine Meisterprüfung ab.

Lippborg – „Für so eine Maßanfertigung müsste man heute 4000 Euro bezahlen“, meitn der 81-Jährige. „Die sind so glatt wegen der Leisten.“erklärt er. Leisten, das sind im Prinzip die Luxus-Versionen von Schuhspannern, denn sie werden passgenau für die betreffenden Schuhe hergestellt, füllen sie komplett aus. „Mit einem normalen Schuhspanner erreicht man auch schon viel, aber wenn Sie Leisten benutzen, dann können Sie solche Lederschuhe sogar bügeln.“

Muss man erst einmal wissen. Erwin Beile weiß so etwas. Denn als Schuhmacher ist er der Letzte einer aussterbenden Spezies: „Wer heute irgendwo in einem kleinen Laden oder einem Kaufhaus Schuhe repariert, der wurde dazu angelernt, ist aber kein Schuhmacher“, weiß Beile. „Als ich anfing, waren wir an der Berufsschule 20 Lehrlinge. Heute kommen auf ganz NRW zwei im Jahr, die müssen dazu nach Hannover zur Schule. Und von den Kollegen aus meiner Generation sind viele früher nach Werl und Ense zu den Kettler-Werken gewechselt, wo sie Fahrrädern zusammenschraubten. Weil sie damit halt mehr verdienten.“

Beile aber gehört zu den wenigen, die ihren Leisten treu blieben – bis heute. Auch mit 81 geht er noch gelegentlich in die kleine Werkstatt hinter dem Schuhhaus Beile, um den besonderen Service, mit dem es wirbt, aufrecht zu erhalten – in welchem Laden kann man schon die dort gekauften Schuhe auch reparieren lassen?

Wer jedoch meint, er sei der Namensgeber des Geschäfts, der irrt – es war der Onkel. Erwin Beile kam 1946 als Vierjähriger als Opfer der Vertreibung aus Oberschlesien zu Verwandten nach Lippborg, „denn als achtköpfig Familie kommt man ja niemals komplett irgendwo unter“. Ihn verschlug es zu seinem Onkel väterlicherseits, Wilhelm Beile. Er trat in seine Fußstapfen – oder vielmehr, Schuhsohlen. Seine Lehre bei einem Soester Betrieb hatte er erst zwei Jahre zuvor beendet, als er das Geschäft übernahm, nach dem frühen Tod des Onkels im Alter von 64 Jahren, damit seine Tante, seine Pflegemutter, die keine Rente bezogen hätte, nicht mittellos blieb.

1964 legte er erfolgreich seine Meisterprüfung ab: „13 Prüflinge, da werden sich die Prüfer sicherlich nicht alle Meisterstücke allzu genau ansehen, dachte ich mir. Also habe ich als einziger keine spitzen, sondern vorne abgerundeten Schuhe gemacht, um mich abzusetzen. Und siehe da, ich fiel ihnen besonders positiv auf.“ 1963 kaufte er das Haus, in dem er das Schuhhaus betrieb, baute es zwei Jahre später um.

Vor 20 Jahren, als er mit dem Gedanken an den Ruhestand spielte, kam eine Frau auf der Suche nach Arbeit zu ihm. Er übergab ihr direkt das Geschäft – und nun schließt auch Marita Steinhoff den Laden zum Ende des Jahres, hat jedoch eine Nachfolgerin gefunden.

Erwin Beile im Jahr 2022 mit seinem fast 50 Jahre alten Meisterstück: einem Paar Schuhe mit Leisten, das bis heute wie neu wirkt.
Erwin Beile in den Neunzigerjahren mit den Schlagersängerinnen Anita (links) und Alexandra Hofmann, für die er über Jahre hinweg passende Schuhe zu ihren Kostümen herstellte. © Bunte, Klaus

Durch einen Zufall fand er zu prominente Kundinnen: die Geschwister Hofmann. Als er 1995 durch Dolberg fuhr, sah er ein Plakat für eine gemischte Show, in der die singenden Schwestern Alexandra und Anita Hofmann dort auftreten sollten. Er kaufte sich und seiner Frau Josefine zwei Karten, und sie waren so begeistert, dass sie sich direkt beim nächsten Konzert in der Region Tickets für die erste Reihe besorgten – dort hatte er freien Blick auf ihre Füße. Bei der Autogrammstunde sprach er sie darauf an, dass die Schuhe aber nicht zu ihren Kostümen, die ihnen damals noch die eigene Mutter nähte, passten – sie schickten ihm Schuhe und Stoffreste der Kostüme, und er begann, sie „umzurüsten“, „ich glaube, die wissen gar nicht, wie kompliziert das wirklich war“. Einmal musste er ad hoc ein Paar kurz vor einer Fernsehshow fertigstellen – zu sehen waren sie dann doch nicht, „weil die Kostüme dem der Moderatorin zu sehr ähnelten.“ 25 Paar Schuhe aus Lippborg trugen beide auf der Bühne, bis die Mutter vor circa zehn Jahren aufhörte, den Schlagersängerinnen die Kostüme zu nähen.

Einen Kunden hatte er mal, der vermutlich einzige, dem sein handgemachtes Schuhwerk schon nach wenigen Tagen kaputt ging – weil der es einfach zerkaut hatte: „Da kam jemand aus Hagen mit der größten Dogge in NRW, die hatte sich eine Pfote verletzt und ich musste dem Hund einen einzelnen Schuh anfertigen.“ Der Ersatzschuh hielt dann durch, bis das Tier wieder barfuß laufen konnte.

Das werden die Lippborger sicherlich nicht wollen. Müssen sie auch nicht. Aktuell läuft noch der Räumungsverkauf im Geschäft an der Hauptstraße, aber eben nicht, weil es für immer schließt, sondern damit es für Renovierungsarbeiten leer steht. Erwin Beile hofft, dass das Geschäft, wenn es nach Karneval wieder öffnet, weiterhin seinen Namen trägt – allein schon, weil es dann in 2025 seinen 100. Geburtstag feiern kann.

Im Gegensatz zu Musikern wie den Geschwistern Hofmann bekommt ein Schuhmacher keinen Applaus – einen ganz besonderen Dank erhielt er jedoch im August 2017. Eine Kundin gab eine Karte im Geschäft ab mit einem eigens für ihn verfassten Gedicht. Das hat ihn ganz besonders berührt – nur leider weiß er bis heute nicht, wer die Urheberin ist, „und ich würde mich so gerne für die Mühe bedanken und sie zu uns zu einem Kaffee einladen“. Wer sich also in den folgenden Zeilen wiedererkennt, wird gebeten, sich an die Redaktion zu wenden (Tel.: 02921/688136 oder E-Mail: lippetal@soester-anzeiger.de), wir leiten die Nachricht dann an Erwin Beile weiter.

Dankeschön

Schönen guten Tag, lieber Herr Beile

ich widme Ihnen gern die Zeile

Den Schuhmacher gilt’s mal zu loben

Ihr Handwerk hat echt goldnen Boden

Egal ob Absatz, Spitze, Naht,

sie machen alles akkurat!

Selbst, wenn das Futter ruiniert

es wird im Schuh noch repariert

Am Ende sagt man voller Scheu

die Schuhe sind so gut wie neu!

Drum hätt’ als Kundin ich ‘ne Bitte

bleiben Sie lang in unsrer Mitte

Werden auch niemals ernsthaft krank

ich sage hier recht vielen Dank.

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