Wie Pferde helfen können, um Ängste abzubauen

Ann-Kristin Kutscher und Sarah Riemer wollen mit ihren Pferden auf dem Gelände des vor einem Jahr neu gegründeten „KlinkerKiez“ ein reotpädagogisches Angebot entwickeln. Zudem planen sie ein Netzwerk aus Co-Working, Co-Living und Co-Farming.
Oestinghausen – Gemächlich kommt Nikan auf den Fremden zugetrottet. Sein Frauchen steht ja direkt daneben, dann kann der Fremde ja nicht böse sein. Vertrauensselig lässt sich der kleine Araber streicheln, genießt die Liebkosungen. Passend zu seinem Namen, meint Sarah Riemer, denn der komme aus dem Indigenen und heiße „Freund“. Nicht anders bei den anderen fünf, einem weiteren Kleinpferd und vier Ponys. So lieb, zahm und zutraulich, man möchte sie am liebsten mit nach Hause nehmen – auf die Couch zu Hund und Katze.
Dazu sind sie natürlich dann doch wieder zu groß. Aber ihre überschaubare Größe und ihr Wesen machen sie ideal, um Menschen an Tiere heranzuführen, die entweder noch zu jung sind, um schon größere Erfahrungen im Umgang mit Vierbeinern zu haben, oder die aus psychischen oder geistigen Beeinträchtigungen heraus langsam daran herangeführt werden müssen.
Die Tiere gehören Ann-Kristin Kutscher und Sarah Riemer. Die beiden Welveranerinnen haben ihre Tiere (sowie eines, das der Mutter einer der beiden gehört) im März von der Nachbargemeinde dorthin überführt, auf das Gelände des vor einem Jahr neu gegründeten „KlinkerKiez“, ein 30 Hektar großes Anwesen, auf dem ein Netzwerk aus Co-Working, Co-Living und Co-Farming entsteht.
Riemer: „Hier haben wir im Gegensatz zu unserer früheren Stallung in Welver den Vorteil der Infrastruktur, zum Beispiel Handwerker, die uns mit den Zäunen helfen können. Und hier können wir unsere Kurse abhalten wie wir wollen, ohne uns nach den Zeitplänen einer Reithalle richten zu müssen.“ Denn dort wollen die beiden Frauen sich selbstständig machen, mit reitpädagogischen Angeboten, Pferdetraining und Tierkommunikation – zumindest nebenberuflich.

Kutscher arbeitet in einem Wohnheim für Menschen mit geistiger Behinderung, Riemer in einer Behörde, hat sich jedoch für dieses Projekt für ein Jahr freistellen lassen: „Ich selber bilde eher Pferde aus und bringe Erwachsenen bei, wie sie Ihre Pferde gesund ausbilde. Ann-Kristin ist mehr für die Kinder zuständig – obwohl wir meist beide anwesend sind.“ Kutscher ist seit 2020 in der Reittherapie angestellt und hat sich zudem nebenberuflich mit Reitunterricht und Beritt selbstständig gemacht. 2022 erlangte sie ihre IPZV-Trainer-C-Lizenz und befindet sich in den letzten Zügen ihrer Ausbildung zur Reittrainerin Sitzschulung. Seit diesem Jahr macht sie zudem eine Ausbildung zur Fachkraft für heilpädagogische Förderung mit dem Pferd, um demnächst ihr Angebot mit Reittherapie zu erweitern.
Die Kleinen können bei ihr die Tiere putzen und auf ihnen reiten, für die größeren haben sie Gurte, um sie zu führen und den Umgang mit ihnen zu lernen. So gibt es zum Beispiel die „Pony-Akademie”, bestehend aus acht Einheiten, ein Zeitraum, über den Kinder auch mal das Pferd wechseln können – ihre Besitzerinnen kennen die Tiere, wissen, wozu sie sich am besten eignen. Einmal im Monat veranstalten sie einen Aktionstag, der nächste am 26. November wird sich ums Thema Kirmes drehen. Da werden die Kinder zum Beispiel Enten angeln – aber vom Rücken eines Ponys aus, „denn durch den Fokus auf das Spiel vergisst man die mögliche Angst vor dem Pferd“, meint Kutscher, „und es fördert natürlich die Motorik“.
Erst unlängst brach Kutscher mit einer Gruppe geistig Behinderter aus ihrer Einrichtung zu einer einstündigen Wanderung auf. „Die Erlebniswanderungen mit Pferd sind sowohl für Menschen mit als auch ohne Behinderungen geeignet“, meint sie. „Auf Wunsch können erlebnispädagogische Elemente in die Wanderung einfließen, die besondere Anforderungen an die Teilnehmer stellen. Gleichzeitig wirkt der Bewegungsrhythmus der Pferde ausgleichend und angstlösend. So kann das Pferd sehr effektiv eingesetzt werden. Beispielsweise um Ängste abzubauen, aber auch um die Persönlichkeit zu stärken.
Die vier Bewohner haben sonst natürlich nur wenig Kontakt zu Tieren, aber sie führten die Pferde ziemlich schnell nacheinander eigenständig oder mit Unterstützung und hatten sichtlich Freude daran. Mit unseren gut ausgebildeten und routinierten Ponys war es auch kein Problem, dass einer das Pony Pelito vom Rollstuhl aus eigenständig führte. Die Ponys sind den Umgang mit Menschen mit Behinderung gewohnt, ebenso kennen sie es auch, Menschen in Hospizen oder Seniorenheimen zu besuchen.“
Denn Pferde begegneten Menschen unvoreingenommen, unabhängig davon, ob sie eine Behinderung haben oder nicht, fährt sie fort: „Und genau dies macht sie so wertvoll im Umgang mit den Menschen. Sie tun den Menschen in ihrem Umfeld gut, ihre Art harmonisiert, schenkt Lebensfreude, hilft die Persönlichkeit zu entwickeln und stärkt das Vertrauen in sich selbst. Und ganz wichtig: der Umgang mit Pferden macht Spaß.“
Weitere Infos gibt es hier und hier.