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“Fabelhafte Helden“ stärken Kinder: Grundschule erprobt Material

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Von: Karin Hillebrand

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Autor Martin Baltscheit verbreitete gute Laune in der Grundschule. Gleichzeitig bestärkte er in seiner Lesung die Kinder darin, sich vertrauten Personen anzuvertrauen und von schlimmen Erlebnissen zu berichten.
Autor Martin Baltscheit verbreitete gute Laune in der Grundschule. Gleichzeitig bestärkte er in seiner Lesung die Kinder darin, sich vertrauten Personen anzuvertrauen und von schlimmen Erlebnissen zu berichten. © Hillebrand

Die Grundschule in Oestinghausen erprobt als Pilotschule mit „Fabelhafte Helden“ neues Material für den Einsatz in der Gewaltprävention und -intervention. Es soll später landesweit für Schutzkonzepte an Schulen zur Verfügung stehen.

Oestinghausen – Die Tür zur Eingangshalle der St. Stephanus Grundschule in Oestinghausen steht weit offen. Alle Klassen der Grundschule haben sich dort am Montagmorgen, 17. April, für einen besonderen Termin versammelt. Gelächter und Klatschen dringen auf den Schulhof.

„Dieses Tier kennen nicht viele. Wer mir sagen kann, wie es heißt, gewinnt ein Buch für seine Klasse“, durchbricht eine Stimme die fröhliche Stimmung. Auf einer Leinwand taucht der Buchstabe Q auf, wird von einem länglichen Geschöpf durchschwommen.

Nach kurzem Staunen, dann die Antwort von Kathrin Herdy: „Es ist ein Quastenflosser.“ Jubel bei der Klasse Vier: Das Buch „Raus damit!“ von Martin Baltscheit und Anne-Kathrin Behl ist gewonnen. Überreicht bekommt die Klassenlehrerin das Bilderbuch von dem Autoren selbst.

Baltscheit lebt in Düsseldorf, ist Kinderbuchautor. Er schreibt Theaterstücke und Hörspiele, illustriert, ist Sprecher, führt Regie und wurde mit Preisen ausgezeichnet. Heute betätigt er sich, nachdem er aus dem Buch gelesen hat, als Quizmaster.

Heldenhafte Mission

Das Titelbild des Bilderbuches zeigt Igel, Fuchs, Dachs und Bär – mit Umhang und Maske. Sie sehen aus wie Superhelden auf einer Mission. Auf einer solchen befindet sich auch Martin Baltscheit mit seinen Mitstreitern von der Kinderschutzinitiative „Fabelhafte Helden“ (siehe Infokasten). Und irgendwie fühlen er selbst, Winfried Kneip und Werner Meyer-Deters sich auch so. Die vierte im Bund ist Marie Scherer – eine Grundschullehrerin aus Bochum, die auf der Suche nach einem Konzept zu entsprechenden Themen den Stein ins Rollen brachte. In Oestinghausen ist sie nicht mit dabei.

Im Auftrag des Schulministeriums

Die Lesung ist Teil eines Modellvorhabens, das die Kinderschutzinitiative im Auftrag des Schulministeriums NRW für den landesweiten Einsatz in Grundschulen entwickelt und gehört zu einem Maßnahmenpaket für Prävention, Intervention und Hilfen der Landesregierung zur Bekämpfung von Gewalt, insbesondere sexualisierter Gewalt.

Das Konzept der „Fabelhaften Helden“ wird an vier Grundschulen – zwei im ländlichen Raum, zwei in Städten – erprobt, den Auftakt macht die St. Stephanus Grundschule, dort werden erste Erfahrungen gesammelt, die in die weitere Ausarbeitung einfließen.

Das Buch findet spielerisch den Weg in die Klassen: Lehrerein Kathrin Herdy gewann ein Exemplar beim Quiz.
Das Buch findet spielerisch den Weg in die Klassen: Lehrerein Kathrin Herdy gewann ein Exemplar beim Quiz. © Karin Hillebrand

Am Ende soll ein umfassendes Konzept stehen, das Schulen in ihr eigenes Schutzkonzept integrieren können. „Wir sind verpflichtet, ein solches Konzept, wie auch jeder Verein, jede Kirche, zu entwickeln“, sagt Schulleiterin Cornelia Düring. Ihr ist es wichtig, Material an der Hand zu haben, mit dem die Kinder einen leichten und auch fröhlichen Einstieg haben in das, in der Realität doch schwere Thema der Gewaltprävention.

„Das Buch ist bei den Kindern super angekommen“, fasst sie ihren ersten Eindruck zusammen. „Sie sollen Vertrauen haben, nicht verschreckt werden.“ Erzählt wird die Geschichte eines eigentlich doch niedlichen, kleinen Hasens, der pöbelnd durch den Wald läuft und Igel, Fuchs, Bär und Dachs aufs Übelste beleidigt. Als diese ihm jedoch am Abend Manieren beibringen wollen und lautes Geschrei und höllischen Lärm aus der Hasenhöhle hören und den kleinen Hasen nach einer unerträglich langen Zeit der Stille unglücklich heraus kommen sehen, ermutigen sie ihn, sein schlimmes Geheimnis zu teilen: „Raus damit!“.

Etwa 40 Prozent der Kinder, die in Not sind, vertrauen sich Gleichaltrigen unter dem Siegel der Verschwiegenheit an.

Werner Meyer-Deters, Fachexpertise

Während der Lesung unterbricht der Autor immer wieder, fragt nach, klärt ab. Was ist ein positives Geheimnis? Ostern oder Weihnachten. Was ist mit schlechten Geheimnissen? „Etwa 40 Prozent der Kinder, die in Not sind, vertrauen sich Gleichaltrigen unter dem Siegel der Verschwiegenheit an“, erzählt Werner Meyer-Deters, der zum Konzept gehörende Fortbildungen für Lehrkräfte übernimmt und seine fachliche Expertise beisteuert. Er gehört seit 20 Jahren der DGfPI an, der Gesellschaft für Prävention und Intervention.

Kinder stärken

Es geht den „Fabelhaften Helden“ darum, Kinder zu stärken und gleichzeitig zu ermutigen, sich an Erwachsene zu wenden, wenn sie einem Freund nicht selbst helfen können. Oder sich als Betroffene eben jemandem Vertrauten zu öffnen. Das Buch leitet in das Konzept, Theaterstück und Hörspiel sollen hierzu noch entstehen. Die Lehrerfortbildungen sind vorgeschaltet. Das ergänzende pädagogische Material für den Unterricht ist ein weiterer Baustein des Konzepts.

Dies und auch das pädagogische Konzept hat Winfried Kneip ausgearbeitet. Er baute den Verlag an der Ruhr mit auf, verfasste bereits über 30 Bücher für den schulischen Bereich. „Es ist ein 64-seitiges Buch mit praktischen Anregungen, Übungen und Arbeitsmaterialien zu den grundlegenden Themen, die in dem Bilderbuch angerissen werden“, erklärt er.

Pädagogische Ausarbeitung

Warum Kinder manchmal – wie der Hase – gemein oder merkwürdig sind, beispielsweise. Aber auch die Unterscheidung von guten und schlechten Geheimnissen oder das sich anvertrauen. Wo finden sie ihre fabelhaften Helden, die in der Not helfen?

„Wir pflegen hier ein vertrauensvolles Miteinander, alles was uns bedrückt, können wir mitteilen“, will Dürer ihren Schützlingen vermitteln. Schule soll ein sicherer Raum sein. Zu der Teilnahme an der Pilotphase des schulischen Konzeptes war sie sofort bereit, nachdem es innerhalb einer Netzwerk-Gruppe des Schulamtes vorgestellt wurde.

Schule als sicherer Raum

Zwei Wochen lang wird das Material nun in Oestinghausen getestet, Feedbacks der Lehrkräfte fließen in die Weiterentwicklung, werden an die folgenden drei Schulen mitgenommen. Letztlich sollen die Lehrer „fabelhafte Helfer an einer fabelhaften Schule“ sein, die wissen, an wen sie sich im Ernstfall wenden können.

Daher will das Team Beratungslehrer qualifizieren, die an die Schulen gehen, und Ansprechpartner ausbilden, so Kneip. Rund zwei Jahre dauert die Konzeptentwicklung insgesamt, dann muss es das Parlament für die Schutzkonzepte im Land NRW bestätigen.

Initiative Fabelhafte Helden

Die „Fabelhaften Helden“ setzen sich für die Verbreitung der Kinderrechte der Vereinten Nationen (United Nations) ein. Sie haben sich die Unterstützung von Pädagogen in Kindertagesstätten und Grundschulen zum Ziel gesetzt. Hierfür entwickeln sie Bilderbücher, Theaterstücke, Lehrmaterial und Lehrerfortbildungen. Wer selbst Held werden und zur Stärkung von Kinderrechten beitragen möchte oder nach einer Fortbildung sucht, findet Informationen auf der Internetseite fabelhaftehelden.de.

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