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Vollrausch in der dritten Stunde

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Von: Klaus Bunte

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Im vermeintlichen Vollrausch weggedämmert:  Schauspieler Leon Nietzschmann sorgte mit seiner Darstellung auch für einige Lacher.
Im vermeintlichen Vollrausch weggedämmert: Schauspieler Leon Nietzschmann sorgte mit seiner Darstellung auch für einige Lacher. © Bunte, Klaus

Und dann schläft er ein, sackt mit dem Kopf auf die Schulter seines Sitznachbarn. Mitten im Unterricht, quasi. Weil er einen im Tee hat, und das nicht zu knapp. Aber er tut ja nur so. Etwas älter als die angeblich 17 Jahre, für die er sich gerade ausgibt, ist Leon Nietzschmann schon. Und ein Alkoholiker, der im Suff seine Freundin schlägt und deswegen eine Jugendstrafe kassiert, ist er auch nicht – er spielt ihn nur.

Herzfeld – Nietzschmann und seine Kollegin Isra Schaefer sind Schauspieler der Kulturschule Leipzig, die mit kurzen Theaterstücken zu aktuellen Themen wie Mobbing, Rassismus oder Drogenmissbrauch von Schule zu Schule reisen. An der Lippetalschule macht das Theater erstmals Halt.

Die Achtklässler beschäftigen sich die ganze Woche über mit dem Thema Suchtprävention. „Früher gab es dazu immer nur einen einzelnen Tag, doch dann merkten wird, dass das viel zu wenig ist“, meint Schulsozialarbeiterin Silke Feldmann. „Daher haben wir das im vergangenen Jahr ausgeweitet auf eine ganze Projektwoche, diesmal haben wir erstmals ein Theaterstück gebucht.

„Das Präventionsprogramm startet aber schon viel früher, im Jahrgang 5, mit Dingen wie einem Coolness-, Selbstbewusstseins- und Selbstbehauptungstraining“, fährt Feldmann fort. Denn ist man wirklich cool, nur weil man raucht und trinkt? Ist man nicht viel cooler, wenn man dem Gruppenzwang standhält?

Schulsozialarbeiterin Silke Feldmann (rechts) und Tina Schwarzte von der Bürgerstiftung empfingen die beiden jungen Schauspieler Isra Schaefer und Leon Nietzschmann in der Lippetalschule.
Schulsozialarbeiterin Silke Feldmann (rechts) und Tina Schwarzte von der Bürgerstiftung empfingen die beiden jungen Schauspieler Isra Schaefer und Leon Nietzschmann in der Lippetalschule. © Bunte, Klaus

Diese Woche dreht sich um alles, was mit Sucht zusammenhängt, sei es nun die nach Alkohol, Drogen, Glücksspiel oder Medien. „Wir arbeiten dabei hauptsächlich mit Material des Gesundheitsamtes Soest“, so Feldmann weiter. Außerdem kommt das Kriminalkommissariat Vorbeugung ins Haus, zudem ein früherer Suchtkranker aus dem Kreis Warendorf, der jedes Mal seine Geschichte erzählt, die er auch als Buch veröffentlicht hat. Mit einem gesonderten Fragebogen sollen die Jugendlichen zuhause mit ihren Eltern das Thema erörtern. Feldmann: „Das Theaterstück wird uns finanziert von der Bürgerstiftung Hellweg, ohne sie hätten wir uns das nicht leisten können.“

Tina Schwartze, Geschäftsführerin der Stiftung und selber Lippetalerin, wohnt der Aufführung bei: „Uns ist immer wichtig, Kinder stark zu machen, wir fördern oder initiieren selber viele Projekte in diesem Bereich. Diese Aktionswoche passt also genau in unsere Arbeit. Von daher unterstützen wir so etwas gerne.“

Risikokompetenz und Resilienz stärken

Das Stück handelt von einem Pärchen, dessen junge Liebe durch den Alkoholismus des Jungen zerstört wird. In den Dialogen werden Hintergründe, die zum wiederholten Griff zur Flasche führten, eingebracht. Im Publikum wird viel gekichert und gelacht, gerade die Jungs neigen zu dummen Sprüchen. Aber das Zwei-Personen-Stück vermeidet den erhobenen Zeigefinger, Nietzschmann bezieht die jungen Leute mit ein, wenn er mit ihnen auf dem Flur der Suchtberatung einen Fragebogen zu seinem Alkoholkonsum durchgeht oder sich eben zwischen sie setzt und im Vollrausch einschläft.

Bei allem Witz, klar ist: Selber möchte man so in der Öffentlichkeit wohl kaum wahrgenommen werden. Feldmann: „Ziel der Woche ist es, die Resilienz der Kinder zu stärken und ihnen Risikokompetenz zu vermitteln, die Fähigkeit, selber Entscheidungen für oder gegen Alkohol zu treffen, zu wissen, was einen damit erwartet, und aufeinander zu achten. Wir gehen davon aus, dass Alkohol für viele der Jugendlichen zum Thema wird, auch wenn die Zahlen allgemein zurückgehen und im Jugendbereich viel weniger getrunken wird als vor Corona.“

Dieser Jahrgang sei so das Alter, in dem die meisten erstmals erst mit Alkohol in Kontakt kämen: „Es gibt auch einige wenige, die sich regelmäßig zum Trinken treffen, aber das betrifft wohl kaum den Großteil der Jugendlichen. Was hier auf dem Land problematisch ist, sind Schützenfeste, wo wenig Möglichkeit besteht, sich rauszuziehen, ohne aus der Gruppe zu fallen. Da ist der Gruppendruck ein großes Thema.“

Zum Ende des kurzen Theaterstücks, bevor die Schauspieler sich noch eine Dreiviertelstunde mit den Jugendlichen darüber unterhalten, gibt es doch noch ein Happyend, wenn die beiden verkrachten Liebenden sich doch wieder zaghaft einander annähern. Im wahren Leben dagegen geht es nicht immer so gut aus.

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