Christliche Sprecher über Einfluss des emeritierten Papstes auf Kirche

Zum Tod des emeritierten Papst Benedikt XVI. geben christliche Sprecher aus dem Kreisgebiet eine Einschätzung zu dessen Wirken auf die Kirche.
Soest/Werl – „Wir sind Papst“ titelte die Bild-Zeitung nach der Wahl Kardinal Joseph Ratzingers zum höchsten Vertreter der katholischen Kirche und brachte damit prägnant die Freude und Hoffnungen der Gläubigen hierzulande auf den Punkt, denn als Papst Benedikt XVI. war er nach fast 500 Jahren der erste Deutsche in dem Amt. Eine persönliche Einschätzung zu dem Einfluss des später emeritierten Papst Benedikt auf die Kirche geben hiesige Vertreter des christlichen Glaubens.

Propst Dietmar Röttger, Leiter des Pastoralen Raum Soest
Papst Benedikt XVI war sicherlich ein Mann, der vor allem in seiner Zeit, bevor er Papst wurde, die Kirche über Jahrzehnte maßgeblich theologisch geprägt hat. Die Vielzahl seiner veröffentlichten Bücher gibt Zeugnis davon und zeigt auch seine theologische Entwicklung in ihrer Bedeutung. Durch die Klarheit seiner Überzeugungen hat es vor allem in seiner Zeit als Vorsitzender der Glaubenskongregation immer auch Spannungen mit den Ortskirchen gegeben, in Fragen des richtigen Weges in die Zukunft. Hier war er durchaus streitbar und stand für die bewahrende Ausrichtung der Kirche. Auch das gehört zu seinem Weg in und mit der Kirche.
Als Papst hat mich damals seine erste Enzyklika in gutem Sinne überrascht, die mit dem Titel „Deus Caritas est“ Gott als die Liebe in das Zentrum stellte. Ein tief geistlicher Text, der für mich eine neue Seite seiner Person zeigte. Grundsätzlich war es sicher nicht einfach, nach dem 26 Jahre langen Pontifikat von Johannes Paul II. das Papstamt zu übernehmen. Seine mutigste Entscheidung war sicherlich, als er den Eindruck hatte, das Amt nicht mehr angemessen ausüben zu können, vom Papstamt selbstbestimmt zurückzutreten.
Damit hat er einen neuen Maßstab gesetzt, auch was die Rolle eines Papstes emeritus angeht, die ohne Vorbild war. In den letzten Jahren nach seiner Emeritierung ist sicherlich die Rolle von Papst Benedikt in der Aufarbeitung des Missbrauchs in der katholischen Kirche besonders kritisch betrachtet worden. Hier wäre bestimmt eine deutlichere Übernahme von Verantwortung und eine klarere Entschuldigung gegenüber den Opfern gut gewesen.
Persönlich erinnere ich mich noch gut, als er, noch als Kardinal, in Paderborn das Requiem für Kardinal Johannes Joachim Degenhardt gefeiert hat und an die ersten Begegnungen mit ihm als Papst beim Weltjugendtag in Köln.
Propst Michael Feldmann, Leiter der Propstei Werl
Joseph Ratzinger hat die Kirche durch ein theologisch hohes Niveau geprägt. Wir haben im Studium mit seinem Büchlein „Einführung in das Christentum“ angefangen - der verstorbene Kardinal Meisner bezeichnete ihn häufig als „Mozart der Theologie“. Mittwochabend bekam ich eine Nachricht von einem befreundeten Protestanten: Als er in Münster evangelische Theologie studiert habe, sei Ratzinger einer der fortschrittlichsten und progressivsten Professoren dort gewesen.
Thematisch war Benedikt sehr breit aufgestellt, kam aber in die unglückliche Situation der Aufklärung des Missbrauchsskandals. Er hat versucht, Aufklärung und Entschuldigung für die Betroffenen zu erwirken, aber dieses komplexe Thema ist natürlich nicht befriedigend zu behandeln – es ist zudem ein gesamtgesellschaftliches. Sein verstorbener Vorgänger Papst Johannes Paul II. übertrug die Aufarbeitung von Meldungen innerkirchlichen Fehlverhaltens an die Glaubenskongregation, die Kardinal Ratzinger damals leitete.
Tragisch ist, dass man ihm nach seiner Zeit als Erzbischof von München bei der Beurteilung von Tätern selbst ein Fehlverhalten vorwarf: Er hat sie, wie damals üblich, auch nur versetzt, statt sie rauszuwerfen. In seiner Zeit als Papst hat Benedikt die Kirche zusammen gehalten. Er war persönlich ein äußerst bescheidener Mensch, keiner, der sich vorgedrängt hat. Legendär seine ersten Worte auf dem Balkon: „Ich bin ein demütiger Diener im Weinberg des Herrn.“ Im Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen hat mir ein starkes Zeichen der Wiedergutmachung gefehlt. Die Abschaffung des Zölibats wäre da hilfreich gewesen.

Mechthild Wohter, geistliche Beraterin/Maria 2.0
An den Tag seiner Papstwahl kann sich Mechthild Wohter noch gut erinnern, „und meine Kinder sicher auch“ – ihr erschrockener „Aufschrei“ jedenfalls sei laut gewesen: „Oh nein.“ Joseph Ratzinger galt nicht (mehr) als progressiv, als Erneuerer, als er zum Pontifex aufstieg. Nach 26 Jahren mit dem konservativen Johannes Paul II. hätte sich Wohter seinerzeit einen anderen Nachfolger gewünscht. Im Rückblick, sagt die Soesterin, die als Geistliche Begleiterin im Pastoralen Raum wirkt, sich bei der Kfd und in der Initiative „Maria 2.0“ engagiert, habe sie Benedikt XVI. als nicht mutig genug erlebt, als deutlich zu ängstlich angesichts der Zeichen der Zeit.
„Man muss den Glauben mit der Zeit weiterentwickeln. Das ist in seinem Pontifikat zu kurz gekommen.“ Er hätte mehr in die Geistkraft vertrauen können, sagt Mechthild Wohter, hätte mehr Zutrauen in den Glaubenssinn der Katholiken beweisen und „das Evangelium über die Zeit tragen können.“ Was ihr dagegen Respekt abgenötigt habe, das sei der Moment seines Rücktritts gewesen. „Das fand ich richtig und wichtig. Damit verbunden war auch das Eingeständnis, das er nicht mehr der richtige Mann am richtigen Platz war. Das war ein mutiger Schritt.“
Vielleicht die bezeichnendste Antwort wählt die Aktivistin für Gleichstellung in der Kirche im Hinblick auf Benedikts Frauenbild. „Da fällt mir gar nichts ein, nichts besonders Positives, nichts besonders Negatives. Was es nicht unbedingt besser macht.“ Offenbar sei die Öffnung der Kirche für Frauen kein Thema gewesen, dem Benedikt irgendeine Bedeutung beigemessen habe. Sie habe vor einiger Zeit ein Buch von Joseph Ratzinger gefunden mit dem Titel „Die Zukunft der Kirche“. Über Frauen spreche er darin nicht. In seinen letzten Tagen habe sie ihm gewünscht, dass er Menschen an seiner Seite gehabt habe, die ihm beistehen. „Und dass er nun Frieden in der Begegnung mit einer liebenden Gottheit findet.“
Dr. Manuel Schilling, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreis Soest-Arnsberg
In der evangelischen Kirche kann niemals eine Person so entscheidend und prägend sein, wie es derzeit der Papst für die katholische Kirche ist. Und das war auch in der katholischen Kirche nicht immer so. Wir evangelischen Theologen haben uns aufmerksam, meist kritisch, mit Papst Benedikt auseinandergesetzt. Ab einem bestimmten Punkt haben sich viele von uns abgewandt. Papst Benedikt ist ein scharfsinniger Denker und ungeheuer gebildeter Mensch gewesen, vor dessen intellektueller Leistung sich die meisten seiner Zeitgenossen beschämt verstecken müssen, ich natürlich eingeschlossen.
Er hat die Defizite und Gefährdungen unserer modernen spätkapitalistischen und neoliberalen Gesellschaft hellsichtig erkannt und benannt. Er hat die Bedeutung einer religiösen Alternative zu einer schrankenlosen Konsumorientierung stark machen wollen, zusammen im Dialog mit anderen Religionen. In dieser Hinsicht hat er seine globale Verantwortung als „Frontfigur“ einer großen Religionsgemeinschaft bewundernswert wahrgenommen. Leider ist es Papst Benedikt nicht gelungen, auch nur eine entscheidende Veränderung in der katholischen Kirche anzustoßen. Zunächst hofften wir Evangelischen, er könne das, stellten aber fest: Die Widerstände in der Kurie und der Weltkirche sind zu groß. Dann mussten wir erkennen, dass er es gar nicht wollte, weil Papst Benedikt im Grunde genommen nie ein positives Verhältnis zur modernen liberalen Gesellschaft eingenommen hatte.
Ein Vorbild ist mir jedoch seine tiefe Frömmigkeit. Mit seinen schüchternen Versuchen, mit Menschen in Kontakt zu treten, rührte er mich an: Papst Benedikt nahm sein Amt mit großer Authentizität wahr, machte keine Show daraus, wie sein Vorgänger. Ich hätte mir gewünscht, dass er die Fesseln von Jahrtausende alten theologischen Denkmustern abstreift, die agile Wendigkeit und Lebensnähe biblischer Texte neu zum Leuchten bringt und vor allem deren menschenfreundliche Unkonventionalität zur Blaupause des eigenen Handelns nimmt.
Stattdessen hörten wir allzu oft erbarmungslose Worte gegenüber Menschen anderer sexueller Orientierung, sahen kein Interesse an der Teilhabe von Frauen in der Kirche, erlebten Schweigen gegenüber Opfern sexualisierter Gewalt in katholischen Institutionen und bis zum Schluss eine Weigerung, persönlich Verantwortung für die Versäumnisse in der Vergangenheit zu übernehmen. Ich glaube, dieser beeindruckend kluge und ehrliche Mensch Josef Ratzinger hätte nie Papst Benedikt werden sollen.