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„Pflegestern“: Auszeichnung wirft Schlaglicht auf die Pflege - emotionale Momente

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Von: Kathrin Bastert

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Pflegestern-Verleihung auf Hof Haulle
Viele Preisträger, aber Corona-bedingt ein kleinerer Rahmen: 20 pflegende Angehörige erhielten den „Pflegestern“ aus den Händen von Irmgard Soldat (vorn rechts) und eine Anerkennung von Landrätin Eva Irrgang (vorn, 3. von rechts). © Peter Dahm

Zum 15. Mal hat die Konferenz Alter und Pflege des Kreises Soest pflegende Angehörige mit dem „Pflegestern“ ausgezeichnet.

Kreis Soest – Am Ende der Veranstaltung, als alles gesagt ist, tritt Eva Irrgang noch einmal ans Mikrofon. Sie müsse, sagt die Landrätin, „nach dieser Veranstaltung immer durchatmen.“ Wer die Geschichten der pflegenden Angehörigen, die am Mittwoch im Hof Haulle mit dem „Pflegestern“ der Konferenz Alter und Pflege des Kreises Soest ausgestattet wurden, hört, wer „sieht, was anderswo los ist und geleistet werden muss. Dem erscheint Vieles, was wir als Problem empfinden, ganz klein.“

Es war diesmal nur ein kleiner Kreis, der in der Kulturscheune zusammengekommen war. Nur wenige Angehörige der Preisträger waren dabei, einige Mitarbeiter der Abteilung Soziales der Kreisverwaltung.

In Vor-Corona-Jahren wurde der Nachmittag größer gestaltet, mit mehr Öffentlichkeit und einem Imbiss danach, bei dem alle noch einmal ins Gespräch kommen konnten. Doch die Pandemie ist noch nicht ausgestanden, und nicht zu vergessen ist, dass die Ziel- auch Kontaktgruppe von Risikopatienten ist. Also blieben die Organisatoren vorsichtig.

Emotional war es trotzdem. Mancher, dem die ehemalige Vize-Landrätin und Initiatorin des Pflegesterns, Irmgard Soldat, auf der kleinen Bühne den kleinen Anstecker ans Revers heftete, kämpfte vor Rührung mit der Stimme. Und der Applaus für jeden Einzelnen geriet zwar mangels Masse leiser, aber keineswegs verhaltener.

• Es stehen Menschen dort wie Dominique Hansel. Die Soesterin versorgt ihren autistischen Sohn und ihre an Demenz erkrankte Großmutter. Um Zeit dafür zu haben, geht sie nachts arbeiten, 120 Stunden monatlich. Zusätzlich pflegt die 44-Jährige noch zeitweise einen MS-kranken Mann. Und: Sie hat selbst einen Grad der Behinderung von 50 Prozent. Bekannte haben sie für den „Pflegestern“ vorgeschlagen. „Ich hätte mich hier nie gesehen“, verrät sie, dass sie schon über die Auszeichnung gelesen und gedacht habe, das sei ja eine tolle Sache. Und so empfindet sie es auch am Mittwoch: „Es ist ein schönes Gefühl, Anerkennung zu finden.“

• Gertrud Wiese (Werl) pflegt seit 16 Jahren ihren Ehemann, der nach einem Schlaganfall 2004 nicht mehr selbstständig laufen kann. Er hat den Pflegegrad 3, bedarf rund um die Uhr der Hilfe seiner Frau. Durch die Pflege ist die 82-Jährige mittlerweile selbst gesundheitlich eingeschränkt.

• Daiva Otto aus Wickede (49) pflegt seit sieben Jahren ihren Ehemann, der eine Tetraplegie bis zur Brust und Pflegegrad 4 hat. Das Paar hat einen volljährigen Sohn, Frau Otto ist berufstätig. Aufgrund der Spastiken benötigt ihr Mann oft auch in der Nacht Hilfestellung.

• Rita Harnau (75, Bad Sassendorf) pflegt ihren stark dementen Ehemann (Pflegegrad 5). Die Betreuung ist zeit- und kraftzehrend, weil der Pflegebedürftige sehr unruhig ist, einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus hat und zu Stürzen neigt.

• Dorothea Wüste aus Möhnesee versorgt seit einem Verkehrsunfall im Jahr 2016 ihre erwachsene Tochter. Die junge Frau hat ein Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades, der Pflegegrad ist 5. Die Familie hat behindertengerecht neu gebaut, die 55-jährige Mutter trainiert viel mit der Tochter.

• Isolde Maria Stapel aus Welver pflegt ihren erwachsenen, körperlich und geistig behinderten Sohn (Pflegegrad 5) seit dessen Geburt. Ihr ebenfalls hochaltriger Ehemann kann die 79-Jährige aufgrund seiner Demenzerkrankung nicht mehr bei der Pflege unterstützen.

• Maria Jedamski (67, Soest), pflegt ihren Mann nach einem schweren Herzanfall rund um die Uhr. Seit September 2019 hilft sie ihm, Tag für Tag wieder mehr am Leben teilzunehmen.

• Irene Paschenda (Soest) pflegt aufopfernd gleich drei Familienangehörige. Sie betreut ihren Ehemann (Pflegegrad 4), der einen Hirnschlag erlitt, seit acht Jahren. Auch ihre Eltern versorgt die 67-Jährige allein, beide sind in den 90ern, haben Pflegegrad 2 und 4.

• Maria Theresia und Norbert Remmert (Soest) pflegen seit 20 Jahren die schwerstbehinderte Tochter (Pflegegrad 5). Teilweise bekam die Familie Unterstützung durch einen Pflegedienst – der aber wegen Personalmangels kündigen musste.

• Monika Weis aus Werl pflegt ihre bettlägerige, über 100-jährige Mutter (Pflegegrad 4) seit 2012 ohne Unterbrechung. Einmal täglich kommt ein Pflegedienst. Weil die Mutter aber sehr ängstlich ist, kommt eine Kurzzeitpflege nicht in Betracht.

Mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause von Angehörigen betreut. „Die Familie erweist sich nach wie vor als tragende Säule der häuslichen Pflege“, sagte Eva Irrgang. „Sie sind für Pflegebedürftige als auch für uns als Gesellschaft unverzichtbar.“ Umso wichtiger sei es, sie und ihre Leistung ins Licht zu rücken, ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass es diese Menschen gibt (siehe Interview). Das wirft auch ein Schlaglicht auf den Zustand der Pflege.

Bei der 15. Verleihung des Pflegesterns war die Liste der Preisträger lang wie nie, immerhin wollten zwei Corona-Jahre nachgeholt werden. Die Jury habe die Vorschläge gleichwohl mit Sachverstand und Einfühlungsvermögen ausgewählt, sagte Irmgard Soldat, „wie immer war das nicht einfach, denn eigentlich haben alle vorgeschlagenen Menschen eine Auszeichnung verdient.“ Zu Anstecker und Blumen gab es individuelle Sachgeschenke, so ausgewählt, dass sie den Preisträgern ein wenig Erholung oder eine kleine Auszeit vom Pflege-Alltag ermöglichen – selten genug ist das im Pflege-Alltag überhaupt möglich.

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