„Politische Erweckung“ führte in die AfD

Zur Landtagswahl NRW am 15. Mai bewerben sich im Wahlkreis 119 Soest I neun Kandidaten um ein Direktmandat. Wir stellen in loser Folge alle Direktkandidaten vor. In diesem Text geht es um Dr. Wilfried Jacobi (AfD).
Kreis Soest – Klar, der Möhnesee ist immer einen Ausflug wert. Dieses Treffen an der Sperrmauer möchte Dr. Wilfried Jacobi hingegen für eine politische Botschaft nutzen. So steht der Landtagskandidat der AfD im Wahlkreis 119 Soest I nun an der gewaltigen Mauer, die schlohweißen Haare leuchten in der Sonne, während der Blick des 79-Jährigen über den See schweift. Die politische Botschaft, die Jacobi aus dem Anblick ableiten möchte, besteht aus zwei Aspekten. Der, wie er es nennt, „Klima-Hysterie“ und der Katastrophenvorsorge. (Mehr News zur NRW-Landtagswahl 2022)
„Ein trockener Sommer macht noch keinen Klimawandel“, sagt der AfD-Kandidat. Der Möhnesee sei derzeit randvoll, dies sei der Standardzustand, damit die Talsperren im Sauerland in trockenen Jahren als Trinkwasserspeicher fürs Ruhrgebiet dienen können. Andererseits habe die Hochwasserkatastrophe von 2021 gezeigt, dass die Stauseen auch als Puffer wichtig seien. „Wir haben gelernt, dass Talsperren im Sommer nicht voll sein dürfen.“ Ohne die Rückhaltefunktion sei ein Teil der Hochwasserproblematik, etwa an der Lenne mit den Stauseen im Einzugsgebiet, stärker ausgefallen als es hätte sein müssen. Zudem hätten die Menschen vielfach vergessen, dass Hochwasserstände auch in der Vergangenheit immer wieder mal sehr hoch gewesen seien.
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Die Annahme eines vom Menschen verursachten Klimawandels weist Jacobi zurück: „Meine bevorzugten Informationen sagen andere Dinge.“ Klimaveränderungen habe es in der Erdgeschichte immer wieder gegeben. Die Triebkraft des Klimas seien die Sonne beziehungsweise die von der Himmelsmechanik abhängige Intensität der Sonneneinstrahlung. Der menschliche Einfluss führe allenfalls zu einem globalen Temperaturanstieg von 0,6 Grad, dies könne das System locker wegstecken. Bei den Prognosen von zwei oder drei Grad Klimaerwärmung bis 2100 handle es sich allenfalls um Projektionen: „Das Ganze ist Kaffeesatzleserei.“ Deshalb seien Anstrengungen, etwa in Deutschland, den CO2-Eintrag in die Atmosphäre zu senken, sinnlos: „Man sollte die Kosten vermeiden und zum Beispiel in sinnvolle Projekte stecken.“
Der weiße Haarkranz und der graumelierte Bart, den bisweilen ein hintergründiges Lächeln auseinander zieht, vermitteln das Bild eines gemütlichen Seniors. In der Sache erweist sich Jacobi hingegen als entschiedener Verfechter seiner Überzeugungen. Und als jemand, der es, auch dank versierter Rhetorik, gewohnt ist, das Gespräch zu bestimmen.
Sofern es um politische Themen geht, wirkt der 79-Jährige hochkonzentriert, vielleicht auch, weil AfD-Politiker es gewohnt sein müssen, auf Ablehnung zu stoßen. Bei unverfänglichen Themen, etwa im Rückblick auf seinen Werdegang, werden Gestik und Mimik lockerer, nun wirkt Jacobi tatsächlich wie ein in sich ruhender Senior, der mit einer gewissen Belustigung auf die seltsamen Wendungen seines Berufslebens zurückblickt.
NRW-Landtagswahl 2022
Termin der NRW-Landtagswahl 2022 ist Sonntag, 15. Mai. 64 Parteien schicken Kandidaten ins Rennen. Knapp 13 Millionen Wahlberechtigte können in 128 Wahlkreisen ihre Erst- und Zweitstimme abgeben. Die Wahlbenachrichtigung wird Mitte April versendet. Ab dann ist auch Briefwahl möglich. Laut Umfragen und Prognosen ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD zu erwarten. Eine gute Entscheidungshilfe wird wieder der Wahl-o-mat sein. Landtagswahlen 2022 finden außerdem im Saarland, in Schleswig-Holstein und Niedersachsen statt.
Spezialist für Batterietechnik
Geboren wurde Jacobi in Halle an der Saale, aufgewachsen ist er in Marl-Hüls, einem bedeutenden Chemie-Standort. Diese Nachbarschaft förderte wohl die Entscheidung für ein Chemiestudium, doch statt ins riesige Chemiewerk in Marl führte die erste berufliche Station zu einem mittelständischen Duisburger Unternehmen aus dem Umkreis von Varta. In der Entwicklungsabteilung für Spezialbatterien sammelte Jacobi wichtige Berufserfahrung, dazu gehörten auch Besuche in den USA. 1990 wechselte der promovierte Chemiker dann zu Akku Hagen in Soest, zwei Jahre später zog die Familie in die Gemeinde Bad Sassendorf.
Bei dem Versuch, sich international zu etablieren, übernahm sich das Soester Unternehmen jedoch und wurde von der Konkurrenz verfrühstückt, so Jacobi. Viel Freiraum blieb während der Zeit bei Akku Hagen nicht. Vielen Bad Sassendorfern ist Jacobi, der 2006 in Rente ging, jedoch durch sein Engagement in der katholischen Kirchengemeinde und als Vorsitzender des Pfarrgemeinderats von 2005 bis 2013 bekannt geworden. Eine besondere Aktion jener Zeit war in Zusammenarbeit mit dem Ortsmarketing in den Jahren um 2010 das Adventslabyrinth als „Irrgarten des Lebens“. Mit der Aktion sollte der Weihnachtsmarkt belebt werden, erinnert sich Olaf Bredensteiner, Marketing-Leiter des Kurorts. Bei der Gestaltung habe Jacobi intensiv mitgewirkt. Die Zusammenarbeit sei sachorientiert und sehr angenehm gewesen, so Bredensteiner. Dass Jacobi sich später in der AfD engagierte, habe ihn dann doch ein bisschen überrascht.
Engagement in der Kirche
Pastor Uwe von Raay, damals Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde, hat die Zusammenarbeit mit Jacobi während dessen Zeit im Pfarrgemeinderat in guter Erinnerung. In den Jahren um 2010 habe er mit ihm die Bilder und Texte für die damaligen Adventsaktionen zusammengestellt. „Ich habe Jacobi in der Arbeit für die Kirchengemeinde als hochengagierten Mann erlebt, der sich insbesondere auch sehr für eine Art Willkommenskultur für die Kurgäste eingesetzt hat“, erinnert sich van Raay. Dies sei auch von den Menschen häufiger gewürdigt worden.
Bleibt an Jacobi gerichtet die Frage, wie es zusammengeht, dass er sich in der katholischen Kirchengemeinde engagiert und gleichzeitig einer Partei angehört, die auf Betreiben von Politikern wie Björn Höcke oder Andreas Kalbitz über die Jahre hinweg rechtsextreme Auswüchse entwickelt hat. Darauf will der Landtagskandidat im Gespräch mit dieser Zeitung zunächst gar nicht eingehen. „Wir sprechen heute über den Jacobi“, wehrt er ab.
Hinwendung zur AfD
Aber dann kommt er doch ins Erzählen. Als 2013 bekannt wurde, dass er sich in dem in jenem Jahr gegründeten AfD-Kreisverband engagiert, habe es aus der Pfarrgemeinde Einwände gegeben. Ihn habe jedoch die junge Partei im Aufbau gereizt, berichtet der 79-Jährige. Und weiter: „Gleichzeitig gab es aber die Resonanz aus der Kirchengemeinde, dass der Jacobi als AfD-Mensch doch völlig untragbar sei.“ Bei der Pfarrgemeinderatswahl im Herbst 2013 habe er daher auf eine Kandidatur verzichtet. Nach acht Jahren in diesem Gremium sei es ohnehin Zeit für einen Wechsel gewesen. In den Jahren seither engagierte Jacobi sich in der Pfarrgemeinde aber weiterhin, insbesondere als Lektor und Kommunionhelfer. Für ihn scheinen christliches Engagement und Mitgliedschaft in der AfD mit ihrem zweifelhaften rechten Rand mithin vereinbar. Kritisch sieht er vielmehr Entwicklungen in den christlichen Kirchen: „Die großen Kirchen haben einen wesentlichen Aspekt vergessen: Dass das Paradies nicht in dieser Welt zu erreichen ist. Weil die Kirchen meinen politisieren zu müssen, haben sie diesen Punkt nicht mehr im Blick.“
Die Hinwendung zur AfD bezeichnet Jacobi im Gespräch als „politisches Erweckungserlebnis“, als „Erkenntnissprung“. Auslöser sei 2012 die Gründung des Europäischen Stabilitätspakts (ESM) mit dem betreffenden Gesetz der Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel gewesen, das er, so Jacobi, als Ermächtigungsgesetz bezeichnen möchte. Der CDU habe er damals den Rücken gekehrt. „Ein halbes Jahr später ist dann die AfD durch Bernd Lucke und andere fähige Leute gegründet worden und mit dieser jungen Partei bin ich ein politischer Mensch geworden.“
Eigene Sicht auf Corona
Begriffe wie „Klima-Hysterie“ oder „Corona-Hysterie“ gehören zur Rhetorik der AfD und tauchen auch im Wahlprogramm zur Landtagswahl in NRW auf. Ebenso spricht Jacobi zum Beispiel von einer „so genannten Pandemie“. Dass Corona die heutige Bedeutung habe, sei darauf zurückzuführen, dass in den Jahren nach 2007 die Definition einer Pandemie geändert worden sei. Des Weiteren verweist Jacobi auf ein Szenario, das die Johns Hopkins Universität mit der Bill und Melinda Gates-Stiftung 2019 erstellte, um den Umgang mit einer Pandemie durchzuspielen. Um dieses Planspiel ranken sich viele Verschwörungstheorien. Jacobi sieht diese Entwicklungen so: „Damals hat man die Regeln aufgestellt, wie man eine Pandemie mit Impfstoffen und so weiter in den Griff kriegt. Das klappte dann, oh Wunder, wenige Monate später: Da tauchte das Wuhan-Virus auf.“ Ins Feld führt der 79-Jährige auch Corona-Skeptiker wie Wolfgang Wodarg oder Sucharit Bhakdi. Jacobis Schlussfolgerung: „Es gibt viele Statements von anerkannten Fachleuten, dass die Pandemie nicht das geworden ist, was prognostiziert wurde. Die Impferei ist einzustellen.“ Den Einwand, er mache es sich mit dieser Einschätzung von Corona etwas einfach, wischt Jacobi beiseite: „Ich habe den Hintergrund, dass ich etwas für zutreffender halten kann.“
Themen zur Landtagswahl
Die AfD tritt bei der Wahl mit dem Ziel an, NRW zukunftsfest zu machen. Für Jacobi sind dabei zwei Punkte besonders wichtig. Zum ersten der Aufbau eines sinnvollen Katastrophenschutzes. Zu viele zuständige Politiker hätten nach der Hochwasserkatastrophe ihre Hände in Unschuld gewaschen. Schnelle Informationswege und klare Zuständigkeiten müssten geschaffen werden. Der zweite Punkt: Angesichts der Brückensperrung an der A45 bei Lüdenscheid sei zu fragen, warum viele Brücken so plötzlich marode sind. Da gebe es viele Versäumnisse der verantwortlichen Parteien.
Bei der Landtagswahl 2017 kam Jacobi im Wahlkreis Soest I auf 5,6 Prozent der Erststimmen, bei den Zweitstimmen erreichte die AfD 7,0 Prozent. Landesweit schaffte sie bei den Erststimmen 5,4 und bei den Zweitstimmen 7,4 Prozent. Und wie sehen jetzt die Erwartungen aus? Einmal mehr zieht ein Lächeln Jacobis Bart auseinander. Wenn es bei den Wählern zu einem „Erkenntnissprung“ komme, werde er in den Landtag einziehen. Wenn nicht, seien die AfD-Kandidaten von der Landesliste kompetente Vertreter seiner Partei.
Steckbrief
Name: Wilfried Jacobi
Alter: 79
Herkunft: Geboren in Halle/ Saale, aufgewachsen in Marl.
Beruflicher Werdegang: Chemiestudium, tätig in Duisburg und bei Akku Hagen, seit 2006 Rentner. Seit 2001 Gutachter für Batterietechnik.
Familienstand: verheiratet, drei Kinder, zwei Enkel.
Hobbys: Haus und Garten.
Politischer Werdegang: 1998 bis 2012 in der CDU. 2013 Eintritt in die AfD, Mitgründer des Kreisverbands. 2017 Landtagskandidat.