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Nach schwerem A44-Unfall: E-Auto wird „ausgepackt“ - so geht es jetzt weiter

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Von: Daniel Schröder

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Das Fahrzeug wurde aufgrund seines möglicherweise beschädigten Akkus in einem „Rescue Bag“ verpackt, erläutert Jörg Krüger.
Das Fahrzeug wurde aufgrund seines möglicherweise beschädigten Akkus in einem „Rescue Bag“ verpackt, erläutert Jörg Krüger. © Daniel Schröder

Nach einem schweren Unfall auf der A 44 zwischen Anröchte und Geseke musste ein Hybrid-Fahrzeug aufgrund seines möglicherweise beschädigten Akkus auf besondere Art und Weise geborgen werden. Doch wie geht es für den Wagen jetzt weiter?

Kreis Soest – Der nagelneue Cupra Formentor (Baujahr 2021) steht auf dem Hof des Anröchter Bergungsunternehmens Krüger. Nachdem der Wagen in der Nacht vom 5. auf den 6. Juli auf der A 44 in einen schweren Unfall verwickelt war – der Fahrer war betrunken in das Heck eines Familienautos gekracht – wurde er aufgrund seines möglicherweise beschädigten Akkus in einem sogenannten „Rescue Bag“ verpackt und abgeschleppt. Der „Rescue Bag“, vergleichbar mit einer überdimensionalen Tasche, hätte im Falle einer Reaktion des Akkus verhindert, dass größere Schäden hätten entstehen können oder jemand verletzt worden wäre.

Am Montag, nach der vorgeschrieben Quarantänezeit, wurde der Wagen „ausgepackt“, um von einem Versicherungs-Gutachter in Augenschein genommen zu werden. „Nach dieser Begutachtung muss eine Entscheidung getroffen werden“, erklärt Bergungsunternehmer Jörg Krüger. Denn nach den Richtlinien für den Gefahrgut-Transport darf der Wagen in seinem aktuellen Zustand nicht auf deutschen Straßen transportiert werden.

Nach Unfall mit Hybrid-Fahrzeug: „Sicherheitszustand des Akku noch nicht klar definiert“

„Das liegt daran, dass der Sicherheitszustand des Akkus noch nicht klar definiert ist. Das Akkusystem hat einen Unfall hinter sich. Nach dem Unfall in der vergangenen Woche haben viele gefragt, warum eine Bergung in dem Umfang nötig war und warum der Akku als kritisch eingestuft wurde: Mit Blick auf die Beschädigung des Fahrzeugs hat eine gewisse Kraft auf den Wagen eingewirkt. Deshalb konnte nicht ausgeschlossen werden, dass auch der Akku innerlich Schaden genommen hat. Das kann man von außen leider nicht beurteilen.“

Der stark beschädigte Cupra Formentor wurde im „Rescue Bag“ für fast eine Woche verpackt.
Der stark beschädigte Cupra Formentor wurde im „Rescue Bag“ für fast eine Woche verpackt. © Daniel Schröder

Nach der „Quarantänezeit“ im „Rescue Bag“ gebe es zwei Möglichkeiten des weiteren Vorgehens, so Jörg Krüger: „Entweder eine Batteriefachkraft des Herstellers könnte das Fahrzeug transportfähig schreiben: Dafür hat er feste Bewertungskriterien und kann das Fahrzeug digital hier vor Ort auswerten. Diese Fachkraft würde dann auch die möglichen Risiken für den Transport übernehmen. Die zweite Möglichkeit wäre, dass wir das Fahrzeug in Rücksprache mit dem Versicherer nach der Begutachtung vom Akku trennen. Der Akku wird ausgebaut, bleibt aber sicherheitskritisch und muss deswegen in speziellen Behältern fachgerecht gelagert werden. Die Gefährdung wäre dann aus dem Fahrzeug raus – das Fahrzeug könnte dann, sofern es sich wirtschaftlich lohnt, wieder instand gesetzt werden. Ein neuer Akku kommt herein und der Wagen könnte wieder auf die Straße gehen.“ Im konkreten Fall sei allerdings eher mit einem Totalschaden des Autos zu rechnen.

Trotz Unfalls: Akku ist kein Sondermüll - diese Möglichkeiten gibt es

Trotz des Unfalls sei der Akku aber kein Sondermüll: „Der alte Akku, der aus dem Auto gebaut wurde, kann beim Hersteller oder einer Fachfirma geöffnet werden. Dort wird er bis auf die Zell-Ebene zerlegt. Alle Bauteile würden geprüft – die Kühlsysteme, alle Leitungen, sind einzelne Zellen gestaucht? Nachdem alle Punkte geprüft wurden, würde er wieder zusammengesetzt, abgedichtet und könnte in einem „Second Life“ wieder in den Betrieb gehen und wieder in den Straßenverkehr kommen“, schildert Jörg Krüger. Gleichzeitig könne es ebenso Sinn machen, den Akku zu recyceln: „So ein Akku ist ein hochbegehrtes Wirtschaftsgut“, betont Krüger.

Der Einsatz des „Rescue Bag“ biete gleich mehrere Vorteile im Vergleich zu anderen Varianten der E-Auto-Bergung, wie beispielsweise dem vielfach gesehenen Wassercontainer, in den das Auto für mehrere Tage getaucht wird: „Zunächst bedeutet der Einsatz eines Wassercontainers einen deutlich höheren logistischen Aufwand. Im konkreten Fall von der A44 war der Einsatz des ‚Rescue Bag’ ein rein prophylaktischer Schutz. Wäre der Wagen geflutet worden, wäre aufgrund dieser Prophylaxe massiver weiterer Schaden am Wagen entstanden. Zudem wäre eine elektronische Unfallursachenforschung durch das Auslesen von Steuergeräten nicht mehr möglich gewesen - das Wasser vernichtet mögliche Beweise. Außerdem entstünden tausende Liter schadstoffbelastetes Wasser. Das ist sehr aufwändig zu entsorgen und der Akku ist durch eingedrungenes Wasser als dauerhaft sicherheitskritisch einzustufen, sodass der Ausbau nur unter massiven Schutzmaßnahmen möglich wäre“, erklärt Jörg Krüger die Unterschiede der Bergungsformen.

Unfall mit E-Autos: Wird der „Rescue Bag“ jetzt nach jedem Crash nötig?

Doch wird der „Rescue Bag“ nach Unfällen mit Hybrid- oder reinen E-Autos jetzt immer nötig sein? Jörg Krüger ist sich sicher: „Es wird die Zukunft werden. Die Bewertung, ob ein Akku als kritisch einzustufen ist, ist selbst bei leichteren Unfällen schwierig. Wichtig ist, dass die Versicherer jetzt schon das Okay gegeben haben, weil sie von den Vorteilen überzeugt sind“, so Krüger.

Direkt an der Unfallstelle sei es schwierig, zu beurteilen, ob der Akku eines Autos beschädigt wurde.
Direkt an der Unfallstelle sei es schwierig, zu beurteilen, ob der Akku eines Autos beschädigt wurde. © Daniel Schröder

Doch was bedeutet das für den konkreten Fall – wie können Bergungsunternehmer oder Einsatzkräfte beurteilen, ob ein Unfall-beteiligtes E-Auto diese „Sonderbehandlung“ benötigt? „Die Airbagauslösung ist ein Zeichen für eine gewisse Krafteinwirkung. Doch letztlich bleibt es dabei: An der Einsatzstelle ist es sehr schwierig, zu bewerten, ob der Akku sicher ist oder nicht. Eigentlich ist das unmöglich. Man muss sich für die sicherste Variante der Bergung entscheiden.“

Abschleppunternehmer: „Mein nächstes Auto wird rein elektrisch“

Krüger selbst fahre zwar aktuell noch einen Verbrenner, sei aber mittlerweile „voll von der E-Mobilität überzeugt“. „Mein nächstes Auto wird rein elektrisch. Die Vorteile liegen einfach auf der Hand.“ Zudem habe er durch die intensive Beschäftigung mit der E-Mobilität wichtige Erkenntnisse gesammelt: „Man merkt, was seit Jahrzehnten im konventionellen Bereich – also bei der Bergung von klassischen Verbrennern – falsch gemacht wird. Gerade unter Wasserschutzrichtlinien wäre die Bergung und der Transport von Fahrzeugen, beispielsweise nach Brandschäden, gar nicht so möglich, wie es derzeit gehandhabt wird. Nach einem Brandschaden muss davon ausgegangen werden, dass aus dem Fahrzeug Schadstoffe wie Betriebsmittel austreten können, weil die Kraftstoffleitungen beschädigt sind. Der Transport wäre dann entweder nur noch in speziellen Behältern möglich, in denen solche Schadstoffe aufgefangen werden könnten, oder der Kraftstoff müsste vor dem Transport abgepumpt werden, damit nichts ins Grundwasser gelangen kann. Wenn man also jetzt die Bergung eines Verbrenners komplett gesetzeskonform machen würde, täte sich das im Vergleich zur Bergung eines Elektro-Autos fast gar nichts mehr. Und an dieser Stelle muss man sagen: Grundwasserschutz geht uns alle etwas an. Nur, weil irgendjemand das wirtschaftlich ein paar Euro billiger kann, heißt das nicht, dass das alles außer Acht gelassen werden kann.“

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