So wie diese Kanne fand sich auch alles andere, was dieser Zug zum Ende des Krieges an Bord hatte, bald in den Haushalten der Region wieder. Ein fast vergessenes Kapitel aus den dunkelsten Tagen Deutschlands, das der Heimatforscher Peters nun jedoch wieder ans Licht gefördert hat. Denn „man findet nur Berichte über die Einsätze des Hilfszugs Bayern, solange er ein Prunkstück der Nazis war“, schreibt Peters in seinem Buch. Solche Zeitungsartikel aus anderen Orten bezog er vom Bundesarchiv in Berlin und holte sich dort die Erlaubnis ein, sie in seiner Broschüre abdrucken zudürfen.
„Hilfszüge“ waren Bestandteil nationalsozialistischer Propaganda-Aktionen. Sie waren motorisierte Verpflegungskolonnen, ursprünglich für nationalsozialistische Großveranstaltungen. 1933 gegründet, konnten 265 Fahrzeuge täglich etwa 250 000 Menschen verpflegen.
Der bekannteste war der „Hilfszug Bayern“, der von der nationalsozialistischen Propaganda als „einziger Großverpflegungszug der Welt“ bejubelt wurde. Die quer durchs Land fahrenden Lastwagen stellten sich an zentralen Punkten in Städten und Dörfern auf und gaben an die dortige Bevölkerung kostenlos Essen ab, das meist in mitgebrachten Gulaschkanonen zubereitet wurde.
Der Zug begleitete die Truppen bei der jeweiligen Machtübernahme in den eroberten Gebieten. Dort sollte die Bevölkerung die technische Überlegenheit der selbsternannten Herrenrasse bewundern – von außen, wohlgemerkt, Betreten war verboten.
„Auch in den vagen Berichten aus der Zeit erkennt man, dass die Auftritte mehr zur überheblichen Selbstdarstellung als zum zweckdienlichen Hilfseinsatz stattfanden“, schreibt Peters. Zu erfahren, was sich am Ende im Hilfszug Bayern verbarg, war letztlich allein den Ostönnern vorbehalten.
War der Hilfszug eigentlich ein Lkw-Konvoi, so war er gegen Ende auch im wörtlichen Sinne ein Zug. Peters geht davon aus, dass der Inhalt aus Spritmangel und wegen einer anderweitigen Verwendung der 60 Lastkraftwagen in zirka 15 Güterwaggons verfrachtet worden war.
Dieser Güterzug war Ende März 1945 auf der Flucht vor dem Bombardement im Ruhrgebiet auf dem Weg nach Niedersachsen, wurde aber nach der Bombardierung Soests, bei der auch die Gleisanlagen zerstört worden waren, zurück geschoben zum Bundesbahnhof an der Ostönner Linde. Dort bewachten ihn zunächst zwei bewaffnete Soldaten – bis die Amerikaner aus dem Sauerland vorrückten und den Einheimischen den Zug zur Plünderung freigaben.
„Und da gab es nicht nur Lebensmittel“, hat Peters herausgefunden, „mit diesem Zug sollte man zigtausend Menschen versorgen können, es gab 18 Backöfen, 20 Gulaschkanonen, 30 Kochkessel, eine Bäckerei, einen Kühlwagen, Arztpraxen, eine Apotheke, Sanitäranlagen, Lautsprecher, Zelte, Beleuchtung, Trinkwasseraufbereitung und Werkstatteinrichtungen. Dies alles gibt einen guten Blick auf die ausgeklügelte Technik, aber auch den Größenwahn.“
Daneben habe es an der Endstation Ostönnen ausgesehen wie auf einer „Resterampe“, da die Nazis offenbar versuchten, alles Mögliche, was eigentlich nicht zum Bestand des Zugs gehörte, vor den Alliierten zu retten.
In Zeiten äußerten Mangels und extremer Knappheit erwies sich der Zug als Selbstbedienungs-Schlaraffenland auf Schienen. Alles konnte verwertet werden – oder vielmehr, zweckentfremdet. So habe ein findiger Installateur zwei der doppelwandigen Edelstahlkochkessel mit einem Tauchsieder in Heißwasserbereiter verwandelt. Mit den Waren Geschäfte zu machen, sei niemandem in den Sinn gekommen.
Peters befragte akribisch Zeitzeugen – wer von ihnen heute noch lebt, war damals im Kindesalter. Zeitzeugen erinnerten sich, wie Papier aus dem Zug in der Schule verwandt wurde, man mit der Fletsche Projektile verschoss oder aus Stoffballen Kleider nähte. Den Weg zu den Textilien mussten sie sich durch Säcke von Knöpfen für Wehrmachtsuniformen kämpfen, die man nicht brauchte und vor dem Waggon auskippte. 1400 von ihnen fand Peters nun dort im Boden, wo bis 1960 die Gleise lagen, als er mit seinen Enkeln mit einem Metalldetektor auf die Suche ging. Die Funde bestätigten die Berichte der Zeitzeugen.
Sein Buch „Der Hilfszug Bayern und sein Ende in Soest-Ostönnen“ werde auch ein Dokument für die Nachwelt sein, ist Peters überzeugt. „Das habe ich ja allein an meinen Enkeln gemerkt, an dem Feuereifer, mit dem sie da im Boden gebuddelt haben.“
Das Buch kann im Heimatmuseum Niederense (http://heimatmuseum-niederense.de) für den Preis von vier Euro erworben werden, ebenso nach einem öffentlichen Vortrag, den Peters am Dienstag, 7. Februar, zirka ab 20.30 Uhr im Anschluss an die Hauptversammlung des Heimatvereins Ostönnen im Andreashaus (Am Weinberg 6 in Östönnen) hält. Dazu sind neben den Vereinsmitgliedern alle Interessierten eingeladen.