Dabei haben Kinder, die das erste Lebensjahr vollendet haben, einen Rechtsanspruch darauf. Und Josefine wird sogar bald schon zwei Jahre alt. An ihren eigenen Arbeitsplatz kann sie die Kleine nicht mitnehmen, „das geht versicherungstechnisch nicht“.
„Ich habe meine Elternzeit verlängert, um die Betreuung noch abzudecken, arbeite nur 15 Stunden die Woche, würde aber gerne meinen alten Vertrag wieder aufnehmen und würde meinen unbefristeten Arbeitsvertrag auch nur sehr ungern aufgeben. Ich bin glücklich dort, wo ich bin“, berichtet sie. „Das geht aber nicht, wenn ich bis zum 1. August keine Betreuung finde. Bis dahin werden es dann zwei Jahre und vier Monate Elternzeit gewesen sein. Aktuell ist meine Tochter, wenn ich arbeite, bei einer Tagesmutter.“ Und die geht zum 1. August in Ruhestand.
„Je weiter ein Kitaplatz entfernt ist, desto mehr muss ich in meiner Situation schauen, ob sich das überhaupt rechnet bei den aktuellen Benzinpreisen. Und ich selber kann ihr doch das soziale Miteinander mit den anderen Kindern in der Kita, das sie verpasst, nicht ersetzen. Die ersten drei Jahre sind sehr prägend dafür. Das ist einfach nur unfair.“ Sie ist wie alle Eltern, die einen Kitaplatz suchen, das normale Verfahren über das Onlineportal der Kreisverwaltung durchlaufen. „Da wird dann nach bestimmten Kriterien mit Punkten bewertet, wer Priorität hat.“ Und obwohl sie arbeitet, obwohl sie alleinerziehend ist, fiel sie durchs Raster.
Eine Begründung weiß Franke nicht, die zuständige Abteilung „hält sich da sehr bedeckt und ich würde mir wirklich mehr Transparenz wünschen. Auch mein Arbeitgeber und die Tagesmutter haben schon versucht, sich beim Kreis einzuschalten, denen sagen sie dasselbe“. Sie hat nur eine Tabelle, die ihr im Kitaportal angezeigt wird, mit 19 roten Zeilen.
Dies sind die Einrichtungen, die sie abgelehnt haben. Bei den übrigen fünf ist die Zeile noch weiß, doch hier sind die Ergebnisse offenbar noch nicht digitalisiert worden, „ich habe bei allen angerufen und erfahren, dass ich dort abgelehnt wurde.“
Über 20 Kitas, klar, das sind nicht nur die Enser Horte, auch die in Möhnesee, Wickede und Werl, „ich habe alles abgegrast, was ging. Und es ist klar, dass die Kitas der Nachbarkommunen erst den Bedarf der eigenen Einwohner decken. Ähnlich bei den Tageseltern. In Wickede hat eine neue Großtagespflege aufgemacht, die müssen erst einmal nur Wickeder Kinder bevorzugen.“ Was nachvollziehbar ist, denn die Nachbargemeinde hat genau das gleiche Problem, hat für besagte Großtagespflege sogar Räume angemietet, diese mit Preisnachlass weitervermietet.
Carina Franke ist nicht allein, in ihrem Bekanntenkreis kennt sie noch zwei weitere junge Mütter. Svenja Schäfer ist Heilerziehungspflegerin, ebenfalls allein erziehend und hat durch die Misere sogar ihre Anstellung verloren: „Mein Arbeitsvertrag lief innerhalb der Elternzeit aus und wurde dann nicht verlängert.“
Und selbst wenn: „Diese Arbeit bedeutet Schichtdienst, und das geht ohne Betreuung nicht. Verschärfend kommt hinzu: Zum 1. August wäre mein Sohn noch keine zwei Jahre alt, und U2-Plätze gibt es ja noch weniger.“ In einer Kita habe sie mal nach den Gründen gefragt und erfahren, dass ja grundsätzlich erst einmal alle Geschwisterkinder bevorzugt würden. Und sie befürchtet eine Stigmatisierung: „Was denken die Leute wohl? Ist allein erziehend, geht nicht arbeiten. Hockt nur zuhause rum. Und das als Fachkraft, die man händeringend sucht. Ich würde liebend gerne wieder in meinen Job zurückgehen.“
Im Vergleich zu den beiden hat Scarlett Rudolph sogar noch das große Los gezogen. Sie hat einen Kitaplatz bei einer Tagespflege gefunden – aber in Werl. Für die Bremerin, die halbtags als Bürokauffrau arbeitet, heißt das, morgens in südlicher Richtung erst nach Werl zu fahren und das Kind abliefern, und dann wieder zurück, an Bremen vorbei, zum Arbeitsplatz in Höingen. Und mittags das ganze wieder in umgekehrter Reihenfolge.
„Auch ich brauche einen U2-Platz, mein Jayden wird erst im November zwei Jahre alt, ich hatte mich bei 17 Einrichtungen beworben und wurde überall abgelehnt. In Höingen war ich vor Ort, dort verwies man auch auf die Geschwisterkinder, weshalb ich auch im kommenden Jahr so gut wie keine Chance hätte, und im Punkteverfahren hatten wir das Nachsehen, weil mein Mann zwar auch arbeitet, aber ich denke, schon allein, weil ich nicht alleinerziehend bin, gab es schon einen Punktabzug.“
Das Problem ist bekannt. Selbst die Tatsache, dass die Elterninitiative Kindergärten Ense 2018 und 2020 zwei weitere Einrichtungen eröffnete, die Zahl der Kindertagesstätten somit auf neun und die verfügbaren Plätze auf 475 stieg, knapp ein Drittel davon im U3-Bereich, hat das Problem nicht beheben können. Die Gemeinde reagiert darauf mit einer umfassenden Sanierung der Bilmer Einrichtung noch in diesem Jahr und einer Erweiterung des Familienzentrums St. Lambertus Bremen.
Bilme soll um eine halbe Gruppe und Bremen um drei Gruppen erweitert werden. So sollen insgesamt 22 U3-Plätze und 38 Ü3-Plätze geschaffen werden. Eine Erweiterung der Einrichtung in Lüttringen sollte als mittelfristige Option weiter verfolgt werden. So beschieden in der jüngsten Sitzung des Ausschusses für Bildung, Soziales, Ehrenamt und Sport. Nur: aktuell von der Mangelsituation betroffenen Eltern hilft das wenig.
Dabei gibt es einen Rechtsanspruch. „Man könnte natürlich zum Anwalt gehen“, meint Scarlett Rudolph. Aber der Aufwand schrecke sie ab: „Einerseits die Kosten, und dann die Hoffnung, damit auch wirklich was zu erreichen, ist zu gering. Stattdessen hofft man nun aufs nächste Jahr.“ Franke: „Ich habe auch noch keine Kanzlei gefunden, die so etwas tatsächlich vertritt, weil das wohl mit einem extrem hohen Verwaltungsaufwand verbunden ist. Und letztlich könnten die mir ja keinen Kitaplatz einklagen, den es gar nicht gibt, sondern nur meinen Verdienstausfall geltend machen.“
„In der Gemeinde Ense ist die Nachfrage nach Betreuungsplätzen für das Kindergartenjahr 2023/2024 so hoch, dass bislang nicht allen Eltern ein Platzangebot für ihre Kinder unterbreitet werden konnte. Stark nachgefragt sind insbesondere die Kindergartenplätze für Kinder unter drei Jahren. Diese Plätze sind schnell vergeben, wobei die Einrichtungen selbst entscheiden, welche der im Kitaportal angemeldeten Kinder sie aufnehmen. Die Einrichtungen entscheiden anhand ihrer selbst aufgestellten Aufnahmekriterien sowie im Rahmen der vorgegebenen Gruppenstrukturen unter Berücksichtigung ihrer räumlichen und personellen Kapazitäten.
Insbesondere im U3-Bereich gibt es Ausbaubedarfe, die ja auch mit der Gemeinde Ense und den Trägern von Einrichtungen bereits erörtert worden sind. Zurzeit sind alle am Ausbau von Kindergartenplätzen Beteiligten bestrebt, die bereits beschlossenen Erweiterungen von Kindertageseinrichtungen in Ense-Bremen und Ense-Bilme zügig voranzutreiben. Erste Planungsunterlagen für die Erweiterungen liegen vor. Es sollen insgesamt 60 Plätze neu geschaffen werden, 22 U3-Plätze sowie 38 Ü3-Plätze. Die Kindergartenplatzsituation ist dynamisch. Aufgrund von Fluktuation kann immer mal wieder ein freier Platz vor dem neuen Kindergartenjahr oder dann im laufenden Kindergartenjahr 2023/2024 frei werden, welcher dann umgehend neu belegt werden kann. Zurzeit sind alle vorhandenen Kindergartenplätze im U3-Bereich (111 Plätze) für das Kindergartenjahr 2023/2024 bereits vergeben. Auch in der Kindertagespflege sind keine Plätze mehr frei. Quelle: Wilhelm Müschenborn, Sprecher des Kreises Soest