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Erster Klimatalk in Ense

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Von: Klaus Bunte

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Beim ersten Enser Klimatalk war das Interesse groß.
Beim ersten Enser Klimatalk war das Interesse groß. © Bunte, Klaus


Nein, damit hatten auch die Veranstalter von der Interessengemeinschaft für Erneuerbare Energien in Südwestfalen (IG2e) nicht gerechnet. Wenige Minuten vor Beginn wird noch alles an Stühlen reingefahren, was die Schützenhalle Bremen aufzubieten hat.Man habe zwar gehofft, irgendwie in den dreistelligen Bereich zu kommen, so der Enser Christian Schlösser, der die IG2e mit Andreas Düser gegründet hat – aber schätzungsweise 250 Besucher, das lag dann wohl dennoch jenseits ihrer Vorstellungskraft.

Bremen - Jenseits davon liegt für manche Zeitgenossen auch das, worum es an diesem Abend geht: der Klimawandel und seine Folgen. Doch ein Nebensatz aus der Wortmeldung eines Besuchers aus Werl bringt es auf den Punkt: „Wir dürften hier ja alle aus der Szene sein.“ Die „Szene“, das sind Menschen, die den Klimawandel nicht hinnehmen wollen, sich engagieren, vielleicht sogar zu den Bürgergenossenschaften gehören, die gemeinsam Windkraftanlagen betreiben. Die Leugner des Klimawandels hingegen sind entweder nicht erschienen oder sie halten sich bedeckt und beobachten nur stumm die Veranstaltung. Zumindest kommt es zu keinerlei Störfällen, um einmal in der Terminologie zu bleiben. Für Schlösser dagegen ist Enses erster KlimaTalk überfällig: „Es ist aus unserer Hinsicht Viertel vor Zwölf.“

Und er ist ein voller Erfolg, da sind sich offenbar alle einig, auch die auswärtigen Besucher. Einer ist aus Möhnesee gekommen und findet „dieses Format ungeheuer gut“, wünscht es sich auch für seine Gemeinde. „Dort ist nicht so viel Schwungmasse vorhanden wie hier in Ense, daher bitte ich, den Kontakt herstellen, um es dort zu etablieren.“

Gast von außerhalb: Bad Sassendorfs Bürgermeister Malte Dahlhoff

Ein anderer Gast von außerhalb: Bad Sassendorfs Bürgermeister Malte Dahlhoff, der sich Tipps erhofft, wie man in seiner Gemeinde Windräder bauen kann: „Bei uns ist die Windkraft an 13 Standorten nicht realisierbar, weil die Flächen als Vogelschutzgebiete ausgewiesen sind. Das soll jetzt gegenüber dem Vogelschutz nicht despektierlich sein, aber wir haben bei uns einfach nicht die Möglichkeit zum neuen Ausbau. Meine Hoffnung ist es, dass wir vielleicht etwas mehr Flexibilität erreichen, dass man das vielleicht auf ganz bestimmte besonders gefährdete Arten begrenzen kann.“ Christian Mildenberger, Geschäftsführer des Landesverbands für Erneuerbare Energien (LEE NRW), kann ihm da wenig Hoffnung machen. Aber auch in Ense kann man davon ein Lied zwitschern (siehe Infokasten).

Die Diskussion mit den Besuchern bildet den Abschluss des ersten Klima-Talks. Zuvor hatten zwei Fachreferenten die beiden Kernpunkte beleuchtet. Kurz gefasst, zum einen die Frage, wie es so weit kommen konnte, und der Stand der Erneuerbaren zum anderen. Dr. Udo Engelhardt, renommierter Meeresbiologe und Klimaforscher mit Wohnsitz in Soest, schildert, wie er von dem ersten Fachgebiet zum zweiten kam, als er Korallenbänke sah, die aufgrund der Erderwärmung abstarben: „Wir Menschen beginnen, uns zu zersetzen ab 42 Grad Körpertemperatur, Korallen bei 31. Das Wasser war 34 Grad warm. Wenn man das einmal gesehen hat, dann lässt einen das nicht mehr los.“ Innerhalb einer guten halben Stunde feuert er jetzt Menge Informationen auch für Laien nachvollziehbar ab, hält zu Beginn eine Erdkugel hoch und pellt eine Frischhaltefolie ab: „Das ist unsere Erdatmosphäre“, stellt er die beiden Gegenstände zueinander in Relation. Eindringlich fasst er die harten Fakten zusammen: Der globale Temperaturanstieg ist in 170 Jahren zehnmal so stark wie alles, was je zuvor auf natürliche Wiese geschah, obendrein erwärmt es sich überall zugleich, die letzte Silvesternacht lag 16 Grad über der Norm, „das war im Winter, würde das jetzt passieren, hätten wir jetzt 46 Grad“. Er stellt anhand einstmals geheimer Dokumente, die laut amerikanischer Rechtsprechung nach 30 Jahren öffentlich gemacht werden müssen, dar, dass die Ölkonzerne seit 40 Jahren von den Problemen wüssten und sie aus Profitgier ignorierten.

Er zählt „klimatische Kipppunkte“ auf, „sie zu überschreiten bedeutet ganz klar das Ende unserer Zivilisation. Wenn wir es doch geschehen lassen, dann zeigt uns die Erdgeschichte, was geschieht. Dann muss man schon 55 Millionen Jahre mitbringen, bis es wieder lebenswert wird. Wir sind dabei, die Wohlfühlzone in kürzester Zeit zu verlassen. Ab drei Grad Erwärmung überleben nur noch Kleintiere wie Ratten oder kleine Katzen. Wir hier hatten bislang einfach nur Glück, dass wir so extreme Hitzewellen wie in Kanada oder China noch nicht hatten. Was wir brauchen, ist ein sozialer Kipppunkt. Der Handlungsdruck wird aber immer stärker werden, die Natur wird es uns aufzwingen. Der Druck muss von unten kommen, denn die Politik wird immer hinterherhinken. Es ist wie das Endspiel im Schach: Da gibt es nicht mehr viele Züge zu machen. Wir treffen jetzt Entscheidungen, die sich auf die nächsten Zehntausende Jahre auswirken.“

Ralf Bischof ist diplomierter Elektroingenieur und unter anderem Mitgründer der Naturstrom AG. Der Experte zum Thema Energiewirtschaft und erneuerbare Energien zeigt auf, dass die Technik nicht weit davon entfernt ist, Energie ausschließlich aus erneuerbaren Quellen zu liefern. Und nicht immer müsse das Rad neu erfunden werden: „Man hat den Eindruck, Wärmepumpen sind etwas ganz Obskures und Neues, aber in jedem Kühlschrank gibt es welche, die Technik ist die gleiche.“

Andreas Düser bittet die Anwesenden abschließend, als Multiplikatoren zu dienen und „aus eurer eigenen Überzeugung heraus dieses Wissen weiterzutransportieren“, dann könne man einen Domino-Effekt auslösen. Und er kündigt an, dass dem ersten Klima-Talk auf jeden Fall noch ein zweiter folgen werde

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