125 Jahre Ruhr-Lippe-Kleinbahn: Es bleibt nichts auf der (Bahn-)Strecke

Die Ruhr-Lippe-Kleinbahn in Ense wird 125 Jahre alt. Der Inhaber erzählt hier die Geschichte der Entstehung der Modelleisenbahn, die vom ehemaligen Bahnhof Himmelpforten geprägt ist.
Ense – Als der Inhaber des Gasthauses Himmelpforten, Hans Bauten, über die Geschichte des Restaurants und die Ruhr-Lippe-Kleinbahn sprechen möchte, ertönt aus dem Saal nebenan das Seniorenorchester aus Soest, das alle zwei Wochen in seinen heiligen Hallen proben darf. Erstklassig werden die Instrumente und kurzen Stücke gespielt. Dabei ist erstklassig das Stichwort, denn vor über einem Jahrhundert war der Saal, in dem das Orchester sitzt, der Wartesaal für die erste Klasse. Der Raum nebenan war der Wartesaal für die zweite Klasse.
125 Jahre Ruhr-Lippe-Kleinbahn: Der Bahnhof Himmelpforten
Heute erinnert kaum noch etwas an den ehemaligen Bahnhof Himmelpforten, der um 1890 gebaut wurde und später einen Anbau erhielt. Dabei war das Areal des Bahnhofs sehr groß. Die Fahrkartenausgabe wandelte sich zu einem Döner-Imbiss und wo heute der Edeka steht, war damals der Rangierbahnhof. „Der Schwerpunkt dieses Bahnhofs war der Personenverkehr. Hier ging es dann nach Soest, Neheim und an die Möhne“, erklärt Bauten, der 1970 geboren wurde, aber viele Geschichten noch von seinen Großeltern und Eltern erzählt bekam. Bilder aus damaligen Zeiten gibt es kaum noch, die meisten sind nach der großen Möhnekatastrophe „abgesoffen“, wie Bauten es beschreibt. Unter dem großen Saal befindet sich noch heute originaler Möhneschlamm, wie er verrät. Das Gasthaus habe damals bis zur ersten Etage unter Wasser gestanden. Dennoch hat Bauten einen kleinen Fundus angesammelt, einige Bilder befinden sich an den Wänden des Restaurants. Alte Postkarten, Zeichnungen, Fahrpläne und Fotos zeugen von einer Zeit von vor einem Jahrhundert. In der oberen Etage gab es einmal Fremdenzimmer, denn manchmal hatten die Fahrgäste keine Möglichkeit mehr, noch am selben Tag weiterzufahren und übernachteten deshalb im Bahnhof. Es sei nicht dasselbe gewesen wie heute, wo immer ein Zug alle halbe Stunde fahre. Die Zeiten waren anders und man habe sich gefreut, wenn drei Züge am Tag gefahren sind.

125 Jahre Ruhr-Lippe-Kleinbahn: Buch „Kleinbahn-Zeiten zwischen Ruhr und Lippe“ erhält Neuauflage
„Es gab auch ein Buch, aber das ist nach kurzer Zeit ausverkauft gewesen“, erinnert sich Bauten an den Titel „Kleinbahn-Zeiten zwischen Ruhr und Lippe“. Zum 125. Jubiläum am 1. Mai wird dieses Buch als Neuauflage jedoch wieder in den Bücherläden stehen, wie der Autor des Buches, Günter Krause, in einer Mitteilung an die Redaktion verrät. Er zeigt aus dem Fenster und erklärt, dass die Radwege, die vor dem Restaurant verlaufen, einmal Bahndämme waren. Die aufgeschütteten Bahnstrecken sind heute längst verschwunden und nur noch wenige erinnern sich an sie. „Viele Interessierte, die hierher kommen, sind auch der Meinung, dass dieses Gebäude schon immer eine Gastronomie war. Auf einen Bahnhof ist kaum einer gekommen.“ Das nicht denkmalgeschützte Haus ist tatsächlich seit knapp hundert Jahren immer eine Gastronomie gewesen, 1958 hat Bautens Großvater das Gebäude gekauft. Zwischen den Doppelgiebeln gab es damals auch eine Turmkugel. Diese steht heute noch, als kleine Erinnerung, auf einem Regal in der Nähe der Küche.
125 Jahre Ruhr-Lippe-Kleinbahn: Erinnerungen an früher
Das Gebäude wurde im Jahr 2017/2018 renoviert. Auf 1 000 Quadratmetern Fläche gab es immer wieder Dinge, die nicht in den Plänen verzeichnet waren. „Da gab es Dinge, die wir nie vermutet hätten wie zum Beispiel Kabel und Leitungen. Auch Wände sind schon umgefallen beim Renovieren. Es war immer spannend.“ Jetzt kennt Bauten jede Ecke und kann genau sagen, wo sich was in dem Gebäude befindet. Auch die Akustik wurde verbessert, denn vorher war es in dem großen Saal „viel zu laut.“ Mittlerweile kann Bauten alte Bahnhöfe mit bloßem Auge erkennen, selbst, wenn sie heute anders aussehen. Die Bauweise sei immerhin ähnlich. Doppelgiebel aber, wie beim Gasthof Himmelpforten, waren damals sehr selten. Auch erinnert er sich an die Erzählungen seines Großvaters oder Vaters, die in der Geschichte der Kleinbahn sehr bewandert waren. „Ich habe von meinem Vater gehört, dass die Gleise der Kleinbahn mal eingefettet wurden. Zum Spaß. Aber dann kam die Bahn die Haar nicht mehr hoch und eine andere Lok musste von oben kommen, um sie zu ziehen.“
125 Jahre Ruhr-Lippe-Kleinbahn: Ehemaligen Fahrkartenausgabe in Oberense
Einen ähnlichen Bubenstreich kennen auch Luzia Fleißig, Franz-Josef Spitthoff und Christian Schlösser. Fleißig und Spitthoff sind seit 1968 die Eigentümer einer ehemaligen Fahrkartenausgabe in Oberense. Der Vater Spitthoffs hatte das Gebäude gekauft. Schlösser ist der Mieter und betreibt in dem Gebäude ein Versicherungsmakler-Büro mit dem Schwerpunkt auf Erneuerbare Energien. Die Kleinbahn fuhr ganz dicht an dem Gebäude vorbei und „einige Jungen haben dann einen Besenstiel, den sie vorher mit Kalk bearbeitet haben, aus dem Fenster gehalten. Anschließend hatte der Zug eine andere Patina“, erinnern sie sich. „Als wir das Haus gekauft haben, wussten wir gar nicht, dass das eine Fahrkartenausgabe war. Das Schild haben wir erst gesehen, als wir die Fassade im Jahr 2002 saniert und die Platten, die davor angebracht waren, entfernt haben“, berichtet Fleißig, die ein Architekturbüro betreibt. Bei einem Blick ins Büro erklärt Schlösser, dass der Fahrkartenschalter damals dort war, wo sich heute die Toilette befindet und das Büro an sich war vor mehr als einem Jahrhundert ein Wartesaal.
125 Jahre Ruhr-Lippe-Kleinbahn: Erst Gaststätte Ruberth, dann Ponderosa
Vor dem Umbau in ein Büro war das Gebäude lange Zeit eine Gastronomie. „Erst war es die Gaststätte Ruberth und danach hieß sie Ponderosa. Wer Bonanza kennt, dem wird dieser Name etwas sagen“, grinst Spitthoff. Ein bisschen schade findet es Gasthaus-Inhaber Bauten schon, dass die Bahn verschwunden ist, habe man damals doch auf sie gesetzt. Es war eine gute Verbindung zwischen den Städten und Gemeinden, heute „braucht man zwingend ein Auto, um von A nach B zu kommen.“ Dabei war besonders im Jahr 1898 die Freude über die Kleinbahn sehr groß. So steht es auch in der Festschrift, denn dort wurde die ganze Fahrt der Ruhr-Lippe-Kleinbahn detailliert beschrieben. „Nachdem die Stadt Neheim Vertreter des Magistrats und Stadtverordneten-Kollegiums den Zug bestiegen hatten, begann die Fahrt durch das Möhnetal zum idyllisch gelegenen Bahnhof Himmelpforten, wo die Vertreter des Amtes Bremen sich anschlossen, und nun ging’s hinauf in mächtigen Windungen um das lieblich gelegene Dörfchen Niederense zur Höhe des Haarstranges mit der herrlichen Fernsicht auf Gebirge und Ebene.“
125 Jahre Ruhr-Lippe-Kleinbahn: Beitrag zum wirtschaftlichen Aufschwung
Zudem hat die Kleinbahn damals zum wirtschaftlichen Aufschwung von Niederense beigetragen. Ging die Strecke damals nur Richtung Ostönnen, so wurde 1908 eine Verbindung nach Günne gebaut. Mit dieser konnte unter anderem auch später der Bau der Sperrmauer realisiert werden. All diese Dinge weiß Peter Rademacher, erster Vorsitzender bei den Eisenbahnfreunden in Werl. Das Wissen, das er heute besitzt, hat er sich nicht nur angelesen, auch Geschichten der Eltern und mitunter eine Tour der Deutschen Gesellschaft für Eisenbahngeschichte im Mai 2006 haben seine Leidenschaft für Bahnen allgemein befeuert. „Wir sind mit einem Bus damals auch die Strecken abgefahren, die heutzutage nicht mehr existieren. Das war eine tolle Erfahrung“, schwärmt Rademacher von vergangenen Zeiten. Auch Kontakte zum Heimatverein und Fotobände sowie Vorträge hat sich der leidenschaftliche Eisenbahnfreund nicht entgehen lassen. Und wer heute noch mit offenen Augen durch Niederense geht, der entdeckt auch noch alte Straßennamen, die auf die Ruhr-Lippe-Kleinbahn von damals verweisen, zum Beispiel die Straße „Bahndamm“ oder „Kleinbahnring“, wie Rademacher erzählt.
125 Jahre Ruhr-Lippe-Kleinbahn: Relikte im Boden
Und nicht nur alte Straßennamen bleiben erhalten, auch im Boden finden sich ab und an noch Relikte aus alten Zeiten. „Ein Kollege hat sich ein Haus in der Nähe der alten Bahnanlage gekauft und im Boden wurden noch alte Wasserrohre gefunden.“ Mit diesen wurden die Speicher aufgefüllt, bevor es für die Kleinbahn den Berg zur Haar hinaufging. Knappe zweieinhalb Kilometer ging es in mächtigen Windungen damals den Berg hinauf und das in einer „gemütlichen“ Geschwindigkeit. So gemütlich, dass Rademachers Großvater die Zeit hatte, sich in Ruhe umzuziehen und zur Haltestelle in Niederense zu gehen, als der Zug am Haltepunkt Haar in Sichtweite kam. „Meine Mutter musste dann immer Bescheid sagen“, erinnert sich Rademacher und lacht. Die Erinnerungen jedenfalls sind bei vielen im Gedächtnis geblieben. Und in vielen Fällen wurden sie an die nächste Generation weitergegeben, sodass die alten Zeiten, in denen die Züge noch mit Kohle und Wasserdampf gefahren sind, sich nicht im Rauch der Vergangenheit auflösen, sondern in vielen Bildern und Vorträgen weiterleben können.