Kurort schließt sich Klage gegen das Land an

BAD SASSENDORF ▪ Die Gemeinde Bad Sassendorf will sich der Verfassungsbeschwerde gegen das Gemeindefinanzierungsgesetz 2012 des Landes anschließen. Das hat der Gemeinderat mit den Stimmen von CDU, BG und FDP am Mittwochabend beschlossen.
Lediglich die SPD-Fraktion mochte sich diesem Schritt nicht anschließen, vier ihrer Mitglieder stimmten gegen diesen Schritt, vier weitere enthielten sich der Stimme.
Vorausgegangen war der Entscheidung ein ausführlicher Bericht von Kämmerer Karl-Heinz Ricken über die Änderungen des Gemeindefinanzierungsgesetzes (GFG) in den vergangenen Jahren. Nach dem Höchststand von fast Millionen Euro an Schlüsselzuweisungen im Jahr 2010 sackte der Wert in den Jahren um 1,3 Millionen Euro ab.
Nach einer zusammenfassenden Kritik an den GFG-Reformen warb Ricken im Gemeinderat für eine Beteiligung an der Verfassungsbeschwerde. Gegen die Änderungen beim GFG 2012 hätten sich inzwischen mehr als 60 Kommunen zusammengeschlossen. Da die Kosten von den Kommunen gemeinschaftlich getragen werden, sei die Belastung für Bad Sassendorf auf maximal 10 000 Euro beschränkt.
Aus den Reihen der SPD-Fraktion wurde der Vorschlag auf Beteiligung an der Verfassungsbeschwerde zurückhaltend bis ablehnend bewertet. Besonders deutlich positionierte sich der Fraktionsvorsitzende Edwin Morch: „Ich sehe gar nicht ein, dass wir in eine Verfassungsbeschwerde einsteigen.“ Das GFG greife den Aspekt der Solidargemeinschaft auf, indem die Großstädte entlastet würden. Vorher habe die schwarz-gelbe Landesregierung den ländlichen Raum bevorzugt, die aktuelle rot-grüne Landesregierung setze nun andere Akzente. „Gehen Sie mal durch Duisburg, durch Oberhausen oder durch Hamm! Wir jammern auf hohem Niveau, ich möchte nicht mit Duisburg tauschen“, erklärte Morch.
Zurückhaltender äußerte sich sein Fraktionskollege Axel Droste, indem er etwa auf den Schüleransatz verwies: „Da muss man sich schon fragen: Was ist da los?“ Andererseits räumte auch er ein: „Die meisten großen Städte stehen schlechter da als wir.“ Zudem werde vieles von außen bewirkt: „Unsere Einnahmen gehen zurück und die Kreisumlage steigt; der Bund beschließt Gesetze, und wir haben die Kosten zu tragen. Da müsste angesetzt werden.“ Angesichts dieser Gemengelage sah sich Droste in einer Zwitterrolle. Davon konnte bei Hans-Joachim Lücker (CDU) offenkundig keine Rede sein: „Es kann nur recht und billig sein, wenn man solche Ansätze überprüfen lässt. Hier drängt sich der Eindruck auf, dass mit großer Willkür das Ruder herum gerissen werden soll“, erklärte er mit Blick auf die unterschiedlichen Gewichtungen seitens der schwarz-gelben und der nachfolgenden rot-grünen Landesregierung. Zudem bleibe festzuhalten, „dass viele Städte über ihre Verhältnisse gelebt haben“. Die Kommunen, die ihren Haushalt in Ordnung gehalten hätten würden nun abgestraft. Für eine Verfassungsbeschwerde sprach sich auch Reinhard Klöne (FDP) aus. Die Gemeinde habe über die Parteigrenzen hinweg seit Jahren eine solide Haushaltswirtschaft betrieben, müsse angesichts der GFG-Reformen aber massive Folgen befürchten. Wenn der Standard gehalten werden soll, müssten die freiwilligen Leistungen und die Frage von Steuererhöhungen auf den Prüfstand.
Für eine Verfassungsbeschwerde sprach sich auch Bürgermeister Antonius Bahlmann aus. Das Land habe laut Rechtsprechung zwar einen weiten Gestaltungsspielraum, es dürfe jedoch nicht willkürlich vorgehen.
Die Reformen des GFG und die Folgen
Nach der Aktualisierung des GFG im Jahre 2003 war die nächste Aktualisierung zwar für 2008 vorgesehen. Weil das zugrundeliegende Ifo-Gutachten aber seinerzeit nicht fertig war, sei die nächste Aktualisierung erst 2011 erfolgt, erläuterte Kämmerer Karl-Heinz Ricken. Im Ergebnis dieser Anpassungen wurden die verschiedenen Ansätze, die zur Ermittlung der Schlüsselzuweisungen des Landes an die Kommunen dienen, anders gewichtet. So sei der Hauptansatz, der 2010 noch einen Anteil von 77 Prozent an der zu verteilenden Schlüsselmasse ausmachte, für 2012 auf 52 Prozent zurück gegangen. Hinzu komme eine andere Gewichtung. Ricken: „Wenn man mehr Einwohner hat, bekommt man pro Einwohner mehr.“ Diese als „Einwohnerveredelung“ kritisierte Gewichtung führe zu einer Umverteilung zugunsten größerer Städte.
Eine ähnliche Umverteilung konstatierte Ricken beim Soziallastenansatz. 2012 werde dieser Ansatz einen Anteil von 34,4 Prozent an der Gesamtmasse der Schlüsselzuweisungen haben und damit immer mehr zu einem zweiten Hauptansatz. Mit der vorgenommenen Gewichtung der Soziallasten sei dieser Ansatz zudem „übernivelliert“, Bedarfsgemeinschaften, die örtliche Sozialhilfe beziehen, würden zu 180 Prozent finanziert, Kommunen könnten also durch Bedarfsgemeinschaften Geld machen.
Negativ bewertete der Kämmerer auch den aktuellen Schüleransatz. Zunächst sei für 2011 die Gewichtung abgesenkt worden, 2012 wurde die Gewichtung nach Schulformen aufgegeben, unterschieden werde nur nach gebundenen Ganztagsschulen mit einer Gewichtung von 3,33 sowie Halbtags- oder offenen Ganztagsschulen mit einer Gewichtung von 0,7. Warum die einen Schüler so viel mehr Wert sein sollen als die anderen, sei nicht nachzuvollziehen.
Ebenso kritisierte Ricken den Flächenansatz, der von der Landesregierung abweichend von den Berechnungen des Ifo-Gutachtens erfolgt sei, und am Zentralitätsansatz.
In der Folge würden diese Anpassungen des GFG zu einer Umverteilung der Finanzmittel mit einem Volumen von 100 Millionen bis 130 Millionen Euro aus dem ländlichen in die Großstädte führen. Die durchschnittlichen Schlüsselzuweisungen pro Einwohner seien bei den kreisfreien Städten von 2000 bis 2013 von 317,22 auf 503 Euro gestiegen, bei den kreisangehörigen, also eher ländlichen Kommunen dagegen nur von 271,55 auf 282 Euro. Einem Anstieg von 58 Prozent bei den „Großen“ steht somit ein Anstieg von 3,6 Prozent bei den „Kleinen“ gegenüber. ▪ tbg