Jörg Juretzka schreibt den Krimi „Rotzig & Rotzig“

MÜLHEIM–Kristof Kryszinski sucht seine Zeugen in den zwielichtigen Winkeln der Großstädte, nimmt sich Verdächtige gern mit den eigenen Händen vor und flüchtet vor Verfolgern durch die Hochhäuser seiner Heimatstadt Mülheim. Von Annette Kiehl ▪
Das schöne, moderne, gewandelte Ruhrgebiet spielt hier keine Rolle. Der Privatdetektiv verkörpert wie wenige andere Romanfiguren den Geist und – ja auch – die Klischees der Region: Er ist rau, ehrlich und ganz schön frech. Um Höflichkeitsfloskeln und Ordnungswidrigkeiten kümmert sich Kryszinski, ein Ex-Junkie mit passiver Mitgliedschaft bei einer Motorrad-Gang, nur sehr widerwillig. Sein Schöpfer Jörg Juretzka teilt mit ihm zwar die Heimatstadt Mülheim an der Ruhr, ist aber deutlich stiller und zurückhaltender. Und doch, ein Einzelgänger, so wie sein Protagonist. Bei einem Gespräch im Stadtcafé Sander, einer gediegenen Konditorei in der Mülheimer Innenstadt, erzählt er vom Leben zwischen Computer und Baustelle, der Balance beim Krimischreiben und über sein gespaltenes Verhältnis zur Kulturhauptstadt.
Denn Juretzka, Jahrgang 1955, ist kein Mann für den großen Enthusiasmus, und damit vielleicht sogar typisch für das Ruhrgebiet. Ereignissen wie dem Ruhr-2010-Jahr begegnet er eher misstrauisch. „Ich freue mich für die Region. Sie hat die Aufmerksamkeit verdient“, sagt der Autor. Die „Schachtzeichen“, das Projekt, das alte Bergbauschächte mit gelben Ballons markiert, wolle er sich unbedingt anschauen. „Eine faszinierende Aktion“, sagt er und fügt gleich hinzu, dass er die vielen Schließungen in der Industrie in den vergangenen Jahrzehnten kritisch betrachte: „Die ganzen Arbeitsplätze, die dort verloren gegangen sind!“ Das Credo vom Wandel durch Kultur und Kultur durch Wandel sieht er, der Kulturschaffende, mit großer Distanz. „Der Landschaftspark Duisburg zum Beispiel, das ist ja schon sehr schön. Aber man kann doch nicht alle Zechen und Stahlwerke mit Gewalt umwandeln,“ meint Juretzka und regt sich kurz darauf so leidenschaftlich über die „Ruhrgebietshymne“ von Herbert Grönemeyer auf, dass man befürchtet, er würde gleich gehen. „Das Lied hat mir schon alles verdorben. Der Text, eine Zumutung. Das klingt ja wie freies Assoziieren zum Ruhrgebiet in einer Therapiesitzung.“ Und ja, das solle man auch so schreiben, fügt Juretzka hinzu.
Er bleibt dann aber doch und erzählt, was das Ruhrgebiet für ihn und Kristof Kryszinski bedeute. Seit inzwischen neun Romanen ermittelt dieser in Mülheim. In seiner neuen Geschichte „Rotzig & Rotzig“ arbeitet er getarnt als Hausmeister im heruntergekommenen „Wohnpark Nord“. „Kryszinski ist definitiv der Ruhrgebiets-Archetyp. Er hat diesen sympathischen Fatalismus, der die Leute hier prägt, und den trockenen Humor“, beschreibt Juretzka den Privatermittler. Diesen Typus, sagt er, gebe es praktisch nur im Ruhrgebiet und deshalb würde er hier leben. Ein Umzug nach Süddeutschland war nur für kurze Dauer. „Da kam ich nicht zurecht. Da wurden Probleme immer nur hintenrum geklärt“, erzählt er. Unabhängigkeit ist für Kryszinski wie auch für seinen Schöpfer selbst ein zentraler Punkt im Leben, unverzichtbar. Deshalb ist Kryszinski kein Beamter und Juretzka kein Vollzeit-Schriftsteller. Als selbstständiger Handwerker arbeitet er zeitweise auf Baustellen.
„Ich lebe zwei Leben, das ist doch toll“, sagt der gelernte Zimmermann und erzählt, dass ihn die praktische Arbeit erde, ihn vor einer möglichen Vereinnahmung durch die Kulturszene bewahre. Diese reize ihn nämlich überhaupt nicht, sagt er und erzählt ganz selbstverständlich, dass ihn weder Kollegen noch Museen oder Theater interessieren: „Da fühle ich mich unbehaglich.“
Juretzka ist Krimiautor durch und durch, obwohl er gern in andere Genres gehen würde. Doch letztlich habe sein Held Kristof Kryszinski ihn gefunden, sagt der Autor, und nun ist er mit diesem verbunden. Nicht nur im Ruhrgebiet würden Fans auf neue Geschichten warten; gerade in Bayern besuchen viele Leute seine Lesungen, so Juretzka. Raymond Chandler des Ruhrgebietes nennen sie ihn, in Anlehnung an den amerikanischen Autor und Schöpfer des melancholischen Privatdetektivs Marlowe. Und das ist dem Mülheimer gar nicht unangenehm, macht ihn sogar stolz.
Schließlich versteht sich Juretzka bei aller Ablehnung von Eitelkeit eben doch als Schriftsteller und ist sich selbst gegenüber anspruchsvoll. Er legt Wert auf eine Balance zwischen bizarrem Humor, Verrücktheiten und Ironie einerseits und einer Realitätsnähe und Logik andererseits. Und er hat den Helden seiner Geschichten in den zwölf Jahren seit dem ersten Buch weiterentwickelt. Schließlich haben sich ja auch das Ruhrgebiet und der Zeitgeist geändert, kommentiert er: „Kryszinski wird erwachsen, und ich habe ihm auch die Flasche aus der Hand genommen.“ Ebenso würde sich dieser nun auch komplexen Themen wie dem Menschenhandel annehmen. Nur politisch korrekt, das werde sein Held nicht werden. Sagt Juretzka und schweigt.
Das Buch
Die erste Leiche liegt schon bereit. Kaum hat Privatdetektiv Kristof Kryszinski als Hausmeister getarnt einen neuen Job im verarmten Mülheimer „Wohnpark Nord“ angetreten, um eine Einbruchsserie aufzuklären, trifft er seinen Vorgänger. Aus dem zehnten Stock gestoßen, liegt dessen Leiche vor Kryszinskis Füßen. Verdächtige sind schnell ausgemacht: Die früh-kriminellen Zwillinge einer Unterschichtsfamilie. Bald sind sie überführt und bei reichen Pflegeeltern untergebracht. Doch hier fängt der Krimi erst richtig an. Denn die vermeintlich großherzige Ersatzfamilie hat Verbindungen zur Menschenhändlerszene. Hat Kryszinski ihnen ohne Absicht zugearbeitet?
Juretzkas Krimis haben sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. Wo sich der Detektiv früher mit ordentlichem Alkoholpegel durch das Ruhrgebiet prügelte, geht es nun stärker um hintergründige Verwicklungen. Brav ist er trotzdem nicht geworden: Ermittelt wird ohne Rücksicht auf Gefahr und Gesetzbuch, und mithilfe wunderbar schräger und zwielichtiger Charaktere aus seinem Bekanntenkreis. Ein frech-witziger und aktionsreicher Krimi, dessen Spannung sich im zweiten Teil der Geschichte richtig aufbaut.
Jörg Juretzka: Rotzig & Rotzig, Kriminalroman. Rotbuch Verlag 2010, 265 S. , 16,95 Euro.